Page 221 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Reichthum und Körperkraft und eine im Staate mächtige Verwandtschaft
                und Alles, was sonst noch hieher gehört; du hast nemlich hiemit
                ungefähr das Gepräge dessen, was ich meine. – Ja, ich habe es, sagte er;

                und zwar gerne möchte ich von dir genauer erfahren, was du hiebei
                meinst. – Erfasse demnach, sprach ich, das Ganze in richtiger Weise, und
                es wird sich dir in Klarheit zeigen und das so eben hierüber Gesagte dir
                nicht ungereimt scheinen. – In welcher Weise also, sagte er, willst du,
                daß ich es mache? – Von jedem Samen oder Keime, sagte ich, sei es der
                in der Erde wurzelnden Pflanzen, oder sei es der Thiere, wissen wir, daß
                jeder, welchem nicht die ihm gebührende Nahrung oder Jahreszeit oder

                Oertlichkeit zu Theil wird, gerade, je saftiger er ist, desto mehrerer ihm
                zukommender Eigenschaften ermangelt; denn dem Guten ist das
                Schlechte wohl feindlicher entgegengesetzt als dem Nicht-Guten. – Wie
                sollte es auch anders sein? – Es hat demnach, glaube ich, seinen guten
                Grund, daß die beste Begabung bei einer ihr fremdartigeren Pflege
                schlechter wegkömmt als die geringe. – Ja, es hat seinen Grund. – Nicht

                wahr also, o Adeimantos, sagte ich, auch betreffs der Seelen wollen wir
                nun ebenso behaupten, daß die bestbegabten, wenn ihnen eine schlechte
                Erziehung zu Theil wird, ausnehmend schlecht werden; oder glaubst du
                etwa, daß die großen Vergehen und die unvermischte Schlechtigkeit aus
                einer geringen Begabung und nicht aus einer übersprudelnden, welche
                aber durch die Art ihrer Pflege zu Grunde ging, erwachsen, sondern
                glaubst du, daß eine schwache Begabung von nichts Großem, weder

                Gutem, noch Bösem, jemals die Ursache sein werde? – Nein, sagte er,
                ersteres nicht, aber eben letzteres. – Jene Begabung demnach, welche wir
                als die des Weisheitsliebenden aufstellten, muß, glaube ich, wenn ihr der
                gebührende Unterricht zu Theil wird, nothwendig in ihrem
                Heranwachsen zu jeder Vortrefflichkeit gelangen, wenn sie aber nicht in
                dem gebührenden Boden gesät und gepflanzt ist und gepflegt wird, so

                muß sie hinwiederum zu allem Gegentheile hievon gelangen, falls nicht
                etwa irgend Einer der Götter ihr zu Hülfe eilt. Oder bist etwa auch du,
                wie der große Haufe, der Ansicht, daß irgend Jünglinge durch Sophisten
                verdorben werden, oder irgend einzelne zerstreut lebende Sophisten sie
                in einem Grade verderben, von welchem zu reden der Mühe werth wäre,
                nicht aber diejenigen, welche so sprechen, selbst die größten Sophisten
                seien und Jünglinge und Aeltere und Männer und Frauen vollständig in

                einer Weise heranbilden und zu solchen machen, wie sie dieselben
                wünschen müssen. – Wann thun sie denn dieß? sagte er. – Wann, sprach
                ich, ihrer Viele beisammen sitzen in Volksversammlungen oder
                Gerichtshöfen, oder Theatern, oder Feldlagern, oder in irgend einer





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