Page 220 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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auch den übrigen Reigen der weisheitsliebenden Begabung, was braucht
                es, daß wir ihn wieder von Anfang an aufgreifen und hieher stellen?
                denn du erinnerst dich doch wohl, daß uns als etwas Gebührendes für

                Solche die Tapferkeit, die Großartigkeit, die Gelehrigkeit und die
                Gedächtnißgabe sich herausstellten. Und da dann du in die Rede fielst,
                daß ja Jeder wohl genöthigt sein werde, das von uns Gesagte
                zuzugestehen, aber abgesehen von den Begründungen er im Hinblicke
                auf die Menschen selbst, von welchen wir reden, behaupten müsse, er
                erblicke unter ihnen nur theils unbrauchbare, theils der größeren Zahl
                nach in jeder Beziehung schlechte, so haben wir dann sogleich die

                Ursache dieser Verleumdung erwogen und sind hiebei jetzt eben zu
                diesem Punkte gekommen, warum denn wohl die Meisten schlecht seien,
                und um dessen willen haben wir die Begabung der wahrhaft
                Weisheitsliebenden wieder aufgenommen und sie nothwendiger Weise
                festgestellt. – Ja, so ist es, sagte er. –
                     6. Von dieser Begabung also, sagte ich, müssen wir nun die

                Verderbnisse betrachten, wie sie nemlich bei den Meisten zu Grunde
                gehe, nur ein kleiner Theil aber davon unberührt bleibe, welche Leute
                eben nicht als schlecht, sondern als unbrauchbar bezeichnet werden; und
                hernach hinwiederum müssen wir jene Begabungen betrachten, welche
                diese bloß nachäffen und in ihre Thätigkeit sich eindrängen, welcherlei
                nemlich sie seien, die ja in eine ihren Werth und ihre Fähigkeit
                übersteigende Thätigkeit hineingerathen und dort vielfach Mißgriffe

                machen, hiedurch aber allerwärts und bei Allen die Weisheitsliebe in
                jenen Ruf brachten, welchen du erwähnt hast. – Welche Verderbnisse
                aber, sagte er, meinst du hiemit? – Ich werde, erwiederte ich, falls ich es
                im Stande bin, versuchen, sie dir durchzugehen. Dieß einmal, glaube ich,
                wird uns jeder zugestehen, daß eine derartige Begabung, welche jenes
                Sämmtliche in sich trägt, was wir so eben vorschrieben, falls sie in

                vollendeter Weise eine weisheitsliebende werden soll, in wenigen Fällen
                und in geringer Anzahl unter den Menschen entstehen wird; oder glaubst
                du nicht? – Ja, gar sehr. – Und nun erwäge, wie viele und wie große
                Gefahren den Untergang dieser Wenigen drohen. – Welche denn wohl? –
                Was von Allem am wundersamsten zu hören ist, liegt darin, daß jedes
                Einzelne von demjenigen, was wir an dieser Begabung priesen, die es
                besitzende Seele vernichtet und von der Weisheitsliebe abzieht; ich

                meine nemlich die Tapferkeit und die Besonnenheit und all jenes, was
                wir durchgingen. – Dieß ist ja ungereimt, sagte er, zu vernehmen. –
                Ferner demnach, sprach ich, außer diesem wirken sämmtliche
                sogenannte Güter verderblich und abziehend, nemlich Schönheit und





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