Page 244 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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aus der Voraussetzung heraustritt und ohne die dort befindlichen Bilder
                nur vermöge der Ideen selbst vermittelst derselben die Untersuchung
                anstellt. – Dieß, was du hiemit meinest, sagte er, habe ich nicht genügend

                verstanden. – Aber ich will es auch noch einmal sagen, erwiederte ich;
                denn leichter wirst du es verstehen, nachdem folgendes vorausgeschickt
                ist. Ich glaube nemlich, du weißst bereits, daß diejenigen, welche sich
                mit Geometrie und mit Rechnungen und Derartigem beschäftigen, das
                Gerade und das Ungerade und die Figuren der drei Arten von Winkeln
                und anderes hiemit Verschwistertes bei jeder Untersuchung voraussetzen,
                und solches also, gerade als wüßten sie es, zu Voraussetzungen machen,

                dabei aber eben keinerlei Rechenschaft, weder sich selbst, noch einem
                Anderen über diese Dinge, als wären sie Jedem klar, zu geben für nöthig
                halten, und, aus Solchem dann ihren Ausgangspunkt nehmend, sofort das
                Uebrige durchgehen und zugestandener Weise bei jenem enden, aus
                dessen Erwägung sie ausgegangen waren. – Allerdings ja, sagte er, weiß
                ich dieß. – Nicht wahr also, dann weißst du auch, daß sie hiezu die

                sichtbaren Formen anwenden und über diese ihre Begründungen
                vornehmen, indem sie dabei aber nicht diese selbst im Sinne haben,
                sondern über jenes nachdenken, welchem diese sichtbaren Formen
                ähnlich sind, da sie ja um des Quadrates an und für sich willen die
                Begründungen vornehmen und um des Durchmessers an und für sich
                willen, nicht aber um desjenigen willen, welchen sie eben zeichnen, und
                ebenso auch bei den übrigen Figuren jene einzelnen, welche sie bilden

                und zeichnen, wovon es auch Schatten und Abbilder im Wasser gibt,
                eben nur als Abbilder benützen, weil sie ja jene anderen an sich selbst
                seienden zu schauen suchen, welche man wohl nicht in anderer Weise,
                als eben durch das Nachdenken schauen kannWelch eine falsche
                Auffassung hiebei obwalte, muß jedem klaren Denker von selbst in die
                Augen springen; denn ein auf Papier gezeichnetes Dreieck ist doch

                hoffentlich gerade so ein Repräsentant des Begriffes des Dreieckes, wie
                eine vor mir liegende Rose ein Repräsentant des Begriffes der Rose ist;
                der einzige Unterschied zwischen einer Rose und einem Dreiecke in
                dieser Beziehung ist ja nur der, daß der Mensch das concrete Dreieck
                selbst schaffen kann, die concrete Rose aber nicht; dieser Unterschied
                aber gehört überhaupt einer ganz anderen Sphäre an. Und wollen wir
                selbst von der übrigen Ungehörigkeit des stets gebrauchten Gleichnisses

                mit den Spiegelbildern ganz absehen (denn welcher Mensch, selbst wenn
                er auf der niedersten Stufe des Sensualen steht, beginnt denn seine
                Sinneswahrnehmung mit Betrachtung des Spiegelbildes, um sich etwa
                dann erst zur Anschauung des Originals zu erheben?), so ist es geradezu





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