Page 247 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Siebentes Buch.



                                                  Inhaltsverzeichnis




                1. Hiernach denn nun, sagte ich, vergleiche bildlich mit diesem Zustande
                unsere Begabung betreffs der Bildung und der Ungebildetheit. Stelle dir

                gleichsam Menschen vor in einer unterirdischen höhlenartigen Wohnung,
                welche einen gegen das Licht zu geöffneten langen Gang hat, welcher
                sich durch die ganze Höhle erstreckt, und daß sie in derselben von
                Kindheit an sich befinden, gefesselt an den Beinen und am Nacken, so
                daß sie ruhig bleiben müssen und nur nach ihrer Vorderseite hin schauen,
                ihre Köpfe aber in Folge der Fesseln nicht herumdrehen können, und daß
                das Licht eines Feuers von oben her und in weiter Ferne hinter ihnen

                brenne, zwischen dem Feuer aber und den Gefangenen befinde sich oben
                ein Weg; und an diesem, stelle dir vor, sei eine Mauer aufgeführt, wie bei
                den Taschenspielern vor den Zuschauern jene hölzerne Brüstung sich
                befindet, auf welcher sie ihre Wunderdinge zeigen. – Gut, ich stelle dieß
                mir vor, sagte er. – Stelle dir demnach auch vor, daß dieser Mauer

                entlang Leute mancherlei Geräthe tragen, welche über die Mauer
                hinaufreichen, und auch Bildsäulen von Menschen und anderweitig
                steinerne und hölzerne Thiere und überhaupt allerlei Dinge, wobei, wie
                sich erwarten läßt, die Einen der vorbeitragenden Leute sprechen und
                Andere schweigen. – Ein ungereimtes Bild, sagte er, bringst du da vor,
                und ungereimte Gefangene. – O treffend ähnliche, erwiederte ich;
                glaubst du nemlich, daß die Derartigen vorerst von sich selbst und

                gegenseitig von einander irgend etwas Anderes je gesehen haben, als
                ihre Schatten, welche in Folge des Feuers auf die gegenüberliegende
                Wand der Höhle fallen? – Wie sollten sie auch, sagte er, woferne sie ja
                durch Gewalt gezwungen sind, ihre Köpfe unbeweglich ruhig zu halten?
                – Wie aber ist es mit den vorbeigetragenen Dingen? werden sie von
                diesen nicht das Nemliche sehen? – Wie sollte es anders sein? – Und

                wenn sie nun im Stande wären, mit einander zu sprechen, glaubst du
                nicht, daß sie es für üblich halten würden, eben die je anwesenden
                Dinge, welche sie sehen, mit Namen zu nennen? – Ja, nothwendig. – Wie
                aber? wenn die Höhle auch einen Widerhall an der gegenüber liegenden
                Wand von sich gäbe, so oft einer der außen Vorbeigehenden Etwas
                spricht, glaubst du, daß sie dann etwas Andres für das Sprechende halten






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