Page 248 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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würden, als den eben vorbeigehenden Schatten? – Bei Gott, gewiß nicht.
                – In jeder Beziehung also, sagte ich, würden die Derartigen nichts
                Anderes für das Wahre halten, als die Schatten jener Vorrichtungen. –

                Durchaus nothwendiger Weise, sagte er. – So erwäge denn nun, sprach
                ich, auch bezüglich ihrer Erlösung und Heilung von den Fesseln und von
                ihrem Unverstande, welcherlei dieselbe wohl sein möchte, ob sie
                nemlich nicht von Natur aus in folgender Weise sich ergeben würde: So
                oft einer derselben losgebunden und plötzlich genöthigt würde,
                aufzustehen und seinen Nacken herumzuwenden und zu gehen und
                gegen das Licht hinzublicken, und er bei all diesem Schmerz empfände

                und wegen des blendenden Schimmers unfähig wäre, jene Dinge zu
                sehen, deren Schatten er damals sah, was glaubst du dann wohl, daß er
                sagen würde, falls Jemand ihm erklärte, daß er damals nur eitle Possen
                gesehen, jetzt aber weit näher an dem Wirklichen und auch zu
                Wirklicherem hingewendet richtiger sehe, und wenn dieser denn nun ihm
                auch jedes Einzelne des Vorbeigehenden zeigen und durch Fragen ihn

                nöthigen würde, zu antworten, was es sei, – glaubst du da nicht, er werde
                sowohl in Verlegenheit sein, als auch glauben, das damals Gesehene sei
                ein Wahreres; als dasjenige, was man ihm jetzt zeige? – Ja bei Weitem,
                sagte er. –
                     2. Nicht wahr also, auch wenn jener ihn zwänge, in das Licht selbst
                zu schauen, so würde er Schmerz an den Augen empfinden und sich
                abwendend wieder zu jenem hinfliehen, was er anzuschauen vermag,

                und glauben, es sei dasselbe wirklich deutlicher, als was ihm nun gezeigt
                werde? – Ja, so ist es, sagte er. – Wenn aber, sprach ich, ihn Jemand mit
                Gewalt von dort hinwegzöge über den rauhen und steilen aufwärts
                führenden Pfad, und nicht nachließe, bis er ihn herausgezogen an das
                Licht der Sonne, würde er da nicht Schmerzen erdulden und nur mit
                Unwillen sich fortziehen lassen, und wann er an das Licht käme, dann

                die Augen voll des Lichtglanzes haben und auch nicht ein Einziges von
                demjenigen sehen können, was jetzt als wahr bezeichnet wird? –
                Allerdings wenigstens nicht plötzlich, sagte er. – Gewöhnung demnach,
                glaube ich, dürfte erforderlich sein, wenn er das oben Befindliche sehen
                soll, und zwar zuerst würde er wohl am leichtesten die Schatten
                erblicken, und hernach die im Wasser erscheinenden Spiegelbilder von
                Menschen und von den übrigen Dingen, erst später aber die Dinge selbst;

                nach diesen aber würde er die Dinge am Himmel und den Himmel selbst
                wohl leichter bei Nacht betrachten, auf das Licht der Sterne und des
                Mondes hinblickend, als daß er bei Tage auf die Sonne und ihr Licht
                hinblickte. – Wie sollte es auch anders sein? – Zuletzt aber erst, glaube





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