Page 250 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
P. 250

demnach gar nicht des Versuches, nach Oben zu gehen? und jenen,
                welcher Hand anlegen würde, sie loszubinden und hinauf zu führen,
                würden sie wohl, falls sie ihn ergreifen und tödten könnten, wirklich

                tödten? – Ja gewiß, sagte er. –
                     3. Dieses gesammte Bild demnach, mein lieber Glaukon, sprach ich,
                mußt du mit dem vorher Gesagten verknüpfen, indem du das ganze
                durch den Gesichtssinn erscheinende Gebiet mit jener Gefängniß-
                Wohnung vergleichst, das Licht des Feuers aber in derselben mit der
                Kraft der Sonne; und wenn du dann das Hinaufgehen in die obere
                Gegend und den Anblick des dort Befindlichen als den Aufschwung der

                Seele in das Gebiet des Denkbaren bezeichnest, wirst du von meiner
                Erwartung nicht abirren, da du nemlich dieselbe von mir ausgesprochen
                zu hören wünschest; Gott aber wohl weiß, ob sie wahr sei. Was sich also
                mir zeigt, besteht darin, daß in dem Erkennbaren zuletzt die Idee des
                Guten, und zwar nur zur Noth erblickt werde, aber sobald sie erblickt
                wurde, von ihr geschlossen werden muß, daß sie ja für Alles die Ursache

                von allem Richtigen und Herrlichen ist, indem sie sowohl in dem
                Sichtbaren das Licht und den Machthaber des Lichtes gebiert, als auch in
                dem Denkbaren selbst die Machthaberin ist, Wahrheit und Vernunft zu
                verleihen, und daß auf sie Derjenige hinblicken müsse, welcher in
                verständiger Weise, sei es als Einzelner, oder sei es im Staate, handeln
                will. – Es bin auch ich, sagte er, so weit ich nur kann, der nemlichen
                Meinung wie du. – So komm demnach, sprach ich, und sei auch in

                Folgendem mit mir der nemlichen Meinung und wundere dich nicht
                darüber, daß jene, welche so weit gelangt sind, in die Verhältnisse der
                Menschen nicht eingreifen wollen, sondern ihre Seelen immer darnach
                drängen, oben zu verweilen; denn es ist doch wohl zu erwarten, woferne
                es sich hinwiederum jenem Bilde gemäß verhält. – Ja allerdings, sagte er,
                ist es so zu erwarten. – Wie aber? glaubst du, sprach ich, man müsse über

                Folgendes sich wundern, wenn Jemand von göttlichen Anschauungen
                weg zu den menschlichen Uebeln kommend dort sich nicht zu helfen
                weiß und als gar Lächerlicher sich zeigt, indem er noch stumpfsichtig
                blinzelt und, ehe er genügend an die gegenwärtige Finsterniß gewöhnt
                ist, genöthigt wird, in Gerichtshöfen oder anderswo über die Schatten des
                Gerechten oder über die Bilder, deren Schatten jene sind, einen Kampf
                zu bestehen und einen Wettstreit darüber einzugehen, wie diese Dinge

                irgend von Denjenigen aufgefaßt werden, welche die Gerechtigkeit an
                und für sich niemals geschaut habenHier steht eigentlich schon völlig das
                Bild des stoischen Weisen vor uns, welcher sich allein für ein
                gottgefälliges oder auch göttliches Wesen hält und in aller gespreizter





                                                          249
   245   246   247   248   249   250   251   252   253   254   255