Page 255 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Nein, bei Gott nicht, sagte er. – Sie dürfen aber ja nicht als Liebhaber des
                Herrschens sich an die Herrschaft machen, denn außerdem werden ja die
                Nebenbuhler dieser Liebe mit ihnen kämpfen. – Wie sollte es auch

                anders sein? – Welche Anderen also wirst du nöthigen, sich an die
                Bewachung des Staates zu machen, als Diejenigen, welche bezüglich der
                Dinge, durch die der Staat am trefflichsten bewohnt wird, sowohl das
                meiste Verständniß haben, als auch anderweitige Ehrenbezeugungen und
                ein besseres Leben in sich tragen, als das staatliche ist? – Keine Anderen,
                sagte er. –
                     6. Willst du also, daß wir nunmehr jenes erwägen, auf welche Weise

                die Derartigen uns entstehen möchten, und wie man sie zum Lichte
                hinaufführen könne, gleichsam wie man von Einigen sagt, daß sie vom
                Hades aus zu den Göttern hinauf kamen? – Wie sollte ich dieß nicht
                wollen? sagte er. – Es wäre dieß demnach, wie es scheint, nicht ein
                Herumwenden einer Scheibe auf ihre KehrseiteD. h. ein Kinderspiel, s.
                m. Anm. 32 z. Phädrus., sondern ein Hinüberführen der Seele, wobei

                diese aus einem nächtlichen Tage in einem wahrhaften Aufschwung zum
                Seienden wandelt, welchen wir denn auch als die wahre Weisheitsliebe
                bezeichnen werden. – Ja allerdings. – Nicht wahr also, es muß erwogen
                werden, welcher unter den Unterrichtsgegenständen eine derartige Kraft
                habe? – Warum auch nicht? – Welcher Unterrichtsgegenstand also, o
                Glaukon, möchte wohl die Seele vom Werdenden weg zum Seienden
                hinziehen? Aber eben Folgendes fällt mir ein, während ich dieß sage:

                behaupteten wir denn nicht, daß jene nothwendig schon in ihrer Jugend
                Kriegskämpfer sein müssen? – Ja, wir behaupteten es B. III, Cap. 20 f. u.
                B. V, Cap. 14–16.. – Sie müssen also auch noch diesen
                Unterrichtsgegenstand, welchen wir eben suchen, zu jenem hinzu
                erwerben? – Ja, welchen meinst du denn? – Keinenfalls einen, welcher
                für kriegerische Männer unbrauchbar ist. – Allerdings soll es ein solcher

                sein, sagte er, wenn es möglich ist. – In gymnischer und musischer
                Bildung aber wurden sie uns ja schon im Obigen B. II, Cap. 17 bis B. III,
                Cap. 18. unterrichtet. – Ja, dieß geschah, sagte er. – Die gymnische
                Bildung nun verweilte doch wohl bei jenem, was entsteht und vergeht,
                denn sie waltet über Zunahme und Abnahme des Körperlichen. – Ja, so
                zeigt sich’s. – Dieß also möchte der Unterrichtsgegenstand wohl nicht
                sein, welchen wir suchen. – Nein. – Besteht er also etwa in der

                musischen Bildung, wie wir sie im Obigen durchgingen? – Aber jene,
                sagte er, war ja, wenn du dich erinnerst, die Kehrseite der gymnischen,
                indem sie durch Gewöhnung die Wächter bildete und gemäß einer
                Harmonie eine harmonische Stimmung, nicht aber ein Wissen, und





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