Page 254 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
P. 254
indem ihr besser und vollkommener als jene gebildet worden und in
höherem Grade befähigt seid, an Beiderseitigem Theil zu nehmen;
wieder herabsteigen also muß seinerseits jeder Einzelne von euch in die
gemeinsame Wohnung der Uebrigen und sich mit diesen daran
gewöhnen, das Dunkle zu betrachten; denn wenn ihr euch mit ihnen
daran gewöhnt, so werdet ihr unzähligemal besser als die dortigen
erblicken und einsehen, was die Abbilder seien und wessen Abbilder, da
ihr ja das Wahre betreffs des Schönen und des Gerechten und des Guten
gesehen habt; und auf diese Weise wird von uns und von euch der Staat
im Zustande des Wachens bewohnt werden, nicht aber in jenem des
Schlafens, wie nemlich jetzt die meisten nur von Solchen bewohnt
werden, welche gegenseitige Schattenkämpfe und Aufruhr über das
Herrschen aufführen, wie wenn dasselbe ein großes Gut wäre; hingegen
das Wahre verhält sich folgendermaßen, daß ein Staat, in welchem die
zum Herrschen Bestimmten mit der wenigsten Bereitwilligkeit
herrschen, nothwendiger Weise am besten und mit dem wenigsten
Aufruhre bewohnt wird, jener hingegen, welcher gegentheilige Herrscher
hat, in gegentheiliger Weise.« – Ja allerdings, sagte er. – Werden uns
also, glaubst du, unsere Zöglinge dieß nicht glauben, wenn sie es hören,
und wird nicht Jeder seinerseits wieder bereitwillig in dem Staate mit
den Uebrigen sich plagen wollen, sondern werden sie etwa die meiste
Zeit bloß unter sich in dem Gebiete des Reinen mit einander wohnen
wollen? – Dieß ist unmöglich, sagte er; denn Gerechtes ja schreiben wir
Gerechten vor; im höchsten Grade ja wie zu einem Nothwendigen wird
Jeder zur Ausübung einer Herrschaft gehen, ganz im Gegensatze gegen
jene, welche jetzt in den einzelnen Staaten herrschen. – Ja, allerdings
verhält sich’s so, mein Freund, sagte ich; wenn du nemlich ein Leben
ausfindig machst, welches für die zum Herrschen bestimmten besser ist
als das Herrschen, so wird dir der Staat die Möglichkeit enthalten, in
trefflicher Weise bewohnt zu werden; denn in einem solchen allein
werden jene herrschen, welche wirklich reich sind, nicht an Gold,
sondern daran, woran der Glückliche reich sein muß, an einem guten und
verständigen Leben; wenn aber Bettler und solche, welche an eigenen
Gütern Hunger leiden, an die staatlichen Verhältnisse sich machen, in der
Meinung, sie müßten von dorther das Gute rauben, so ist jenes nicht
möglich; denn indem das Herrschen dann Gegenstand eines Kampfes
wird, vernichtet dieser häusliche und innere Krieg sowohl sie selbst, als
auch den übrigen Staat. – Völlig wahr, sagte er. – Weißt du nun, sprach
ich, irgend ein anderes Leben, welches die Uebungen staatlicher
Herrschaft verschmäht, als eben jenes der wahrhaften Weisheitsliebe? –
253