Page 259 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
P. 259

sehen.? – Ja, so ist es, sagte er. – Nicht wahr also, sprach ich, nothwendig
                muß bei derartigem hinwiederum die Seele rathlos sein, was ihr denn
                wohl die Sinneswahrnehmung als das Harte kundgebe, woferne sie ja das

                Nemliche auch ein Weiches nennt, und ebenso auch bei der
                Sinneswahrnehmung des Leichten und des Schweren, was denn das
                Leichte und das Schwere sei, woferne sie das Schwere als leicht und das
                Leichte als schwer bezeichnet. – Allerdings ja, sagte er, sind dieß
                Aussagen, welche für die Seele ungereimt sind und einer näheren
                Erwägung bedürfen. – Aus guten Gründen also, sagte ich, sucht bei
                Derartigem die Seele vor Allem mit Beiziehung eines Rechnens und

                einer Denkthätigkeit zu erwägen, ob jedes Einzelne, was ihr
                kundgegeben wurde, Eines oder Zwei sei. – Wie sollte sie auch nicht? –
                Nicht wahr also, wann es sich als Zwei zeigt, so zeigt sich jedes von
                diesen zweien als ein Verschiedenes und für sich als Eines? – Ja. – Wenn
                also jedes von beiden Eines ist, beide zusammen aber zwei, so wird sie ja
                die Zwei in ihrer Getrenntheit denken, denn in ihrer Ungetrenntheit

                würde sie ja nicht Zwei, sondern nur Eines denken. – Richtig. – Nun
                erblickte ja, wie wir behaupten, auch der Gesichtssinn ein Großes und
                Kleines, nur hingegen nicht in ihrer Getrenntheit, sondern als etwas in
                einander Verflossenes; oder etwa nicht? – Ja. – Wegen der
                Verdeutlichung hievon aber war nun auch hinwiederum die
                Denkthätigkeit genöthigt, gleichfalls ein Großes und ein Kleines zu
                erblicken, aber nicht als ineinander verflossen, sondern als abgegränzte,

                ganz im Gegensätze gegen den Gesichtssinn. – Dieß ist wahr. – Nicht
                wahr also, erst von da an also wohl kömmt es uns in den Sinn, zu fragen,
                was denn hiemit hinwiederum das Große und was das Kleine sei? – Ja,
                völlig so. – Und auf diese Weise denn nun nannten wir B. VI, Cap. 20.
                das Eine ein Denkbares und das Andere ein Sichtbares. – Völlig richtig,
                sagte er. –

                     8. Dieß demnach suchte ich auch so eben darin auszusprechen, daß
                das Eine eine Aufforderung des Nachdenkens enthalte und das Andere
                nicht, indem ich feststellte, daß, was an die Sinneswahrnehmung
                zugleich mit seinem eigenen Gegensatze hintritt, ein aufforderndes sei,
                dasjenige hingegen, bei welchem jenes nicht der Fall ist, die
                Denkthätigkeit nicht erwecke. – Ich verstehe es demnach bereits, sagte
                er, und es scheint mir so zu sein. – Wie aber nun? zu welchem von

                beiden scheint mir die Zahl und das Eins zu gehören? – Ich sehe es noch
                nicht ein, sagte er. – Aber aus dem vorher Gesagten, erwiederte ich,
                sollst du es schließen. Wenn nemlich das Eins selbst an und für sich in
                genügender Weise durch den Gesichtssinn oder irgend eine andere





                                                          258
   254   255   256   257   258   259   260   261   262   263   264