Page 263 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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sagte er; oder meinst du vielleicht die Geometrie? – Ja, eben diese,
                erwiederte ich. – So weit sie sich nemlich auf das Kriegerische erstreckt,
                sagte er, ist klar, daß sie passe; denn bezüglich des Lageraufschlagens

                und der Besetzung von Plätzen und der Zusammenziehung oder
                Ausbreitung der Truppen und bezüglich der übrigen Formirungen,
                welche man mit Heereszügen in den Schlachten oder auf dem Marsche
                vornimmt, möchte wohl ein Unterschied bestehen, je nachdem Jemand
                der Geometrie kundig ist oder nicht. – Aber nun bezüglich der derartigen
                Dinge, sagte ich, dürfte ein gar kleiner Theil der Geometrie und des
                Rechnens schon genügen; hingegen von dem größeren Theile derselben

                und jenem, was sich weiter erstreckt, müssen wir erwägen, ob es auf
                jenes hinziele, daß es eine leichtere Einsicht in die Idee des Guten
                bewirke; es zielt aber, wie wir behaupten, all dasjenige dorthin, was die
                Seele nöthigt, auf jenen Ort sich hinzuwenden, in welchem das Seligste
                unter dem Seienden sich befindet, was sie eben in jeder Weise erblicken
                soll. – Du hast Recht, sagte er. – Nicht wahr also, wenn die Geometrie

                nöthigt, die Wesenheit zu betrachten, so paßt sie, wenn aber, das Werden
                zu betrachten, so paßt sie nicht. – Ja, so behaupten wir. – Dieß nun
                wenigstens, sagte ich, werden alle jene, welche auch nur ein wenig der
                Geometrie kundig sind, nicht bestreiten, daß diese Wissenschaft ganz das
                Gegenteil desjenigen enthält, was in ihren Begründungen seitens der sie
                Betreibenden ausgesprochen wird. – Wie so? sagte er. – Sie sprechen ja
                eigentlich in einer gar lächerlichen und nothgedrungenen Weise; nemlich

                gerade als wären sie in einem Handeln begriffen und als gälte es eine
                Handlung, wählen sie ihre sämmtlichen Sprach-Ausdrücke und sprechen
                von einem Quadriren und einem Verlängern und einem Hinzufügen und
                all dergleichen in dieser Weise; nun aber wird doch wohl dieser ganze
                Unterrichtsgegenstand nur um der Erkenntniß willen betrieben. – Ja,
                durchaus so, sagte er. – Nicht wahr also, auch über Folgendes wollen wir

                uns noch verständigen? – Worüber? – Nemlich um einer Erkenntniß des
                immer Seienden willen, nicht aber desjenigen, was irgend einmal
                entsteht und vergeht, wird er betrieben? – Dieß ist wohl zuzugestehen,
                sagte er; denn die Geometrie ist eine Erkenntniß des immer Seienden, –
                Also zieht sie, du Wackerer, die Seele zur Wahrheit und bewirkt eine
                weisheitsliebende Gesinnung, so daß wir nach Oben richten, was wir
                jetzt wider Gebühr nach Unten gerichtet haben. – Ja wohl, im höchsten

                Grade, sagte er. – Also im höchsten Grade, sprach ich, müssen wir auch
                vorschreiben, daß die Bürger in deinem Musterstaate in keiner Weise
                sich von der Geometrie fern halten; denn selbst die Nebendinge dieses
                Gegenstandes sind nicht geringfügig. – Welche meinst du hiemit? sagte





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