Page 261 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
P. 261

das Entstehungsmotiv der Arithmetik nicht bloß im Einen und Vielen,
                sondern weiter oben in der Duplicität der Qalitäten überhaupt liege, so
                fragen wir wieder, erstens, ob denn diese Duplicität bloß bei den

                Qualitäten vorkomme, und nicht auch die Träger derselben, d. h. die
                Substanzen, oder selbst die Individuen, zu jener Distinction überhaupt
                uns auffordern, und zweitens, warum denn gerade nur von einer
                Duplicität gesprochen werden wolle, wie wenn es nicht die Vielheit der
                seienden Dinge wäre, welche den Menschen auffordert, sie durch die
                Zahlwörter zu seinem geistigen Eigenthume zu machen.. – Ja allerdings
                in überschwenglicher Weise. – Also dürfte Solches, wie es scheint, zu

                jenen Unterrichtsgegenständen gehören, welche wir eben suchen; denn
                ein Krieger muß dieses nothwendig um der Schlachtordnungen willen
                lernen, der Weisheitsliebende aber darum, weil er von dem Werden sich
                losschälen und nur die Wesenheit ergreifen soll, oder außerdem niemals
                ein tüchtiger Rechner werden kann. – Ja, so ist es, sagte er. – Unser
                Wächter aber ist ja sowohl ein Kriegerischer als auch ein

                Weisheitsliebender. – Wie sollte er auch nicht. – Als einen gebührenden
                Unterrichtsgegenstand demnach, o Glaukon, müssen wir dieses
                gesetzlich aufstellen und jene, welche in dem Staate an dem Größten
                Theil haben sollen, dazu überreden, daß sie zur Rechenkunst sich
                wenden, und dieselbe nicht bloß stückweise betreiben, sondern so lange,
                bis sie zur Anschauung der Natur der Zahlen durch die Denkthätigkeit
                selbst gelangt sind, nicht um des Kaufens und Verkaufens willen wie

                Handelsleute und Krämer sie betreibend, sondern um des Krieges willen
                und darum, daß die Seele selbst eine Erleichterung finde und von dem
                Werden hinweg zur Wahrheit und Wesenheit hinübergewendet werdeWir
                sehen nun schon wiederholt, daß der »Philosoph« Plato sich nie dazu
                verstehen kann, daß es auch eine Wahrheit des Werdens gebe.. –
                Vortrefflich, sagte er, sprichst du da. – Und in der That, sagte ich, nun

                bemerke ich auch, nachdem wir den auf das Rechnen bezüglichen
                Unterrichtsgegenstand erwähnt haben, wie fein derselbe sei und wie
                vielfach brauchbar zu dem von uns Beabsichtigten, wenn man ihn um
                des Erkennens willen, nicht aber um des Krämergeschäftes willen
                betreibt. – Wie so? sagte er. – Eben darin ja, was wir so eben jetzt sagten,
                daß er nemlich gar sehr die Seele nach Oben führt und die Nöthigung
                enthält, über die Zahlen an und für sich zu sprechen, indem man es

                durchaus nicht duldet, wenn Jemand Zahlen vorschiebt, welche einen
                sichtbaren oder tastbaren Körper an sich haben, und etwa so dann von
                ihnen spricht; denn du weißst doch wohl, daß die in diesen Dingen
                Gewandten, wenn Jemand es unternimmt, noch von einer Theilung des





                                                          260
   256   257   258   259   260   261   262   263   264   265   266