Page 257 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
P. 257
Daß es auch in jenen Tragöden nicht an rhetorischer Aufzählung der
Verdienste, welche Palamedes um das Heer sich erworben habe, fehlte,
scheint aus dieser platonischen Stelle wohl hervorzugehen. jedesmal den
Agamemnon erscheinen; oder hast du nicht bemerkt, daß er immer
behauptet, er habe durch Erfindung der Zahlen sowohl die
Schlachtreihen in dem Heere vor Ilium hergestellt, als auch die Schiffe
und alles Uebrige gezählt, als wäre dieß Alles vorher ungezählt gewesen
und hätte, wie es scheint, Agamemnon nicht einmal gewußt, wie viele
Füße er habe, woferne er ja nicht zu zählen verstand; und doch für welch
einen Feldherrn müßte man ihn dann halten? – Für einen sehr
ungereimten, sagte er, müßte wenigstens ich ihn halten, wenn jenes wahr
wäre. –
7. Werden wir es also, sagte ich, anders machen können, als daß wir
die Behauptung aufstellen, ein nothwendiger Unterrichtsgegenstand für
einen kriegerischen Mann sei es, rechnen und zählen zu können? – Ja
gewiß, von Allem am meisten, sagte er, woferne er nur irgend Etwas von
Schlachtordnungen verstehen soll, ja vielmehr, wenn er überhaupt nur
ein Mensch sein soll. – Bemerkst du also, sprach ich, betreffs dieses
Unterrichtsgegenstandes das Nemliche wie ich? – Was meinst du hiemit?
– Es kommt darauf hinaus, daß es von Natur aus zu jenen von uns hier
gesuchten Dingen gehört, welche zur Denkthätigkeit leiten, daß aber
Niemand ihn richtig anwende, insoferne er durchaus zur Wesenheit
hinzieht. – Wie meinst du dieß? sagte er. – Ich will versuchen, erwiederte
ich, klar zu machen, was mir scheint; du sollst nemlich bezüglich jener
Dinge, bei welchen ich in mir selbst den Unterschied aufstelle, ob sie zu
der von uns angegebenen Richtung hinführen oder nicht, die Betrachtung
zugleich mit mir anstellen und jenes dann bejahen oder verneinen, damit
wir auch bei diesem es deutlicher einsehen, ob es sich so verhalte, wie
ich ahne. – So zeige es mir, sagte er. – Ich zeige dir demnach, erwiederte
ich, woferne du es erblickst, daß innerhalb der Sinneswahrnehmungen
Einiges die Denkthätigkeit zu einer näheren Erwägung nicht auffordert,
als wäre es schon genügend durch die Sinneswahrnehmung beurtheilt,
Anderes aber durchaus ihr gebietet, es näher zu erwägen, als thue die
bloße Sinneswahrnehmung nichts Richtiges. – Es ist klar, sagte er, daß
du hiemit jenes meinst, was von ferne oder in bloßen Schattenumrissen
sich zeigt. – Nicht völlig, erwiederte ich, hast du getroffen, was ich
meine. – Was denn nun, sagte er, meinst du eigentlich? – Unter dem
nicht Auffordernden, sagte ich, meine ich jenes, was nicht zugleich in die
entgegengesetzte Wahrnehmung übergeht; dasjenige hingegen, was so
übergeht, bezeichne ich als ein Aufforderndes, wann nemlich die
256