Page 27 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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seienden Manne Waffen bekommen hat, er dieselben, falls jener im
Zustande des Wahnsinnes sie zurückfordern würde, weder
zurückerstatten solle, noch auch es gerecht wäre, sie zurückzuerstatten
oder hinwiederum gegen den in einem solchen Zustande befindlichen die
ganze Wahrheit sagen zu wollen. – Du hast Recht, sagte er. – Nicht also
ist dieses die Begriffsbestimmung der Gerechtigkeit, daß man sowohl die
Wahrheit sage, als auch zurückerstatte, was man bekommen hat.
Allerdings doch wohl, o Sokrates, sagte Polemarchos in die Rede
fallend, woferne man wenigstens irgend dem SimonidesEinzelne sittliche
Kernsprüche, welche in den lyrischen und elegischen Werken des
bekannten Dichters Simonides von Keos (geb. 559 v. Chr., gest. 469)
enthalten waren, werden öfters von Plato als Anfangspunkt begrifflicher
Erörterungen benützt. glauben soll. – Und in der That ja auch, sagte
Kephalos, überlasse ich euch hiemit die Fortsetzung der Unterredung,
denn bereits ist es Zeit, daß ich meine Opfer besorge. – Nicht wahr also,
sagte ich, Polemarchos ist der Erbe des deinigen? – Ja wohl, sagte jener
lachend, und zugleich ging er fort zu seinen OpfernSehr einfältig ist es,
wenn Cicero (
ad Att.
IV, 16, 3) als Grund des Zurücktretens des Kephalos aus dem Gespräche
angibt, daß Plato es für unpassend gehalten habe, einen so bejahrten
Mann in einem so langdauernden Gespräche als mitredend
beizubehalten. Wer aber von der Einrichtung eines sokratischen
Gespräches schlechterdings Nichts versteht, und nicht einmal bemerkt,
daß der greise Kephalos von Plato nur dazu benützt ist, um an ein
erfahrungsreiches und langdauerndes Leben die Erwähnung des
Begriffes eines gerechten Lebens zu knüpfen (s. oben Anm. 7), würde
jedenfalls besser thun, über solche Dinge ganz zu schweigen.. –
6. So sprich denn nun, sagte ich, du Erbe der Unterredung, von
welchem Ausspruche des Simonides betreffs der Gerechtigkeit
behauptest du, daß er richtig sei? –»Daß«, erwiederte jener, »das
Zurückerstatten des einem Jeden geschuldeten gerecht ist«, – mit diesem
Ausspruche scheint er mir wenigstens Recht zu haben. – Aber allerdings
ja, sagte ich, ist es nicht leicht, gegen einen Simonides ungläubig zu sein;
denn weise und göttlich ist dieser Mann. Jedoch eben jenes, was er
hiemit sagen wolle, erkennst vielleicht du, o Polemarchos, ich hingegen
verstehe es nicht; denn klar ist, daß er nicht dasjenige meint, wovon wir
so eben sprachen, daß man, wenn Jemand Etwas zur Aufbewahrung
übergeben hat, man es Jedwedem, welcher auch nicht bei voller
Besinnung es zurückfordert, zurückerstatten solle; und doch ist ja wohl,
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