Page 331 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Vergnügungen hin, welche nicht in Folge von Schmerzen vorhanden
                sind, damit du für die gegenwärtige Untersuchung nicht öfters in die
                Meinung verfallest, es sei dieß von Natur aus das Wesen dieser beiden,

                daß das Vergnügen ein Aufhören des Schmerzes und der Schmerz ein
                Aufhören des Vergnügens sei. – Wo sind solche, sagte er, und welcherlei
                meinst du hiemit? – Sowohl gar viele andere, sprach ich, gibt es, als auch
                insbesondere wenn du die den Geruchssinn betreffenden Vergnügungen
                bedenken willst; denn diese ergeben sich, ohne daß man vorher Schmerz
                empfunden hat, in außerordentlicher Heftigkeit, und sie lassen nach
                ihrem Aufhören keinerlei Schmerz zurück. – Sehr wahr ist dieß, sagte er.

                – Nicht also können wir uns davon überzeugen, daß ein reines
                Vergnügen die Befreiung von Schmerz, und Schmerz die Befreiung von
                Vergnügen sei. – Allerdings nicht. – Aber wirklich ja, sagte ich, sind die
                vermittelst des Körpers an die Seele hin sich erstreckenden sogenannten
                Vergnügungen so ziemlich größtenteils und gerade die größten derselben
                eben solcher Art, nemlich nur Befreiungen von Schmerzen, – Allerdings

                sind sie dieß. – Nicht wahr also, auch was sich bezüglich künftiger
                solcher Dinge in Folge einer Erwartung als Vorfreude und als Vorgefühl
                des Schmerzes ergibt, verhält sich in gleicher Weise? – Ja, in gleicher
                Weise. –
                     10. Weißt du also, sagte ich, von welcher Beschaffenheit sie sind und
                welchem Dinge sie am meisten gleichen? – Welchem? sagte er. –
                Glaubst du, sprach ich, daß es in der Natur ein Oben und ein Unten und

                eine Mitte gebe? – Ja, gewiß, – Glaubst du also, daß, wenn Jemand von
                Unten gegen die Mitte zu sich bewegt, er etwas Anderes glauben werde,
                als er werde nach Oben bewegt, und wenn er in der Mitte, steht und
                dorthin hinabblickt, von wo hinweg er sich bewegt hatte, er irgendwo
                anders zu sein meinen würde, als eben oben, indem er das wahrhaft oben
                Seiende nicht sieht. – Ich wenigstens, sagte er, glaube bei Gott nicht, daß

                ein Derartiger eine andere Meinung haben werde. – Aber wenn er wieder
                in entgegengesetzter Richtung sich bewegte, so würde er wohl der
                Meinung sein, nach Unten bewegt zu werden, und hiemit die richtige
                Meinung haben? – Wie sollte er auch nicht? – Nicht wahr also, dieß
                Alles würde ihm darum begegnen, weil er keine Erfahrung hat über das
                wahrhaft Oben und in der Mitte und Unten Seiende? – Ja, klärlich. –
                Würdest du dich also wundern, wenn sie ohne Erfahrung der Wahrheit

                sowohl in vielen anderen Dingen keine gesunde Meinung haben, als
                auch in Bezug auf Vergnügen und Schmerz und das Mittelding derselben
                in diesem Zustande sind, daß, wenn sie zu dem Schmerzlichen
                hinbewegt werden, sie die richtige Meinung haben und wirklich Schmerz





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