Page 332 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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empfinden, hingegen wenn vom Schmerze hinweg zum Mitteldinge, sie
bereits bei einer Erfüllung ihres Verlangens und bei einem Vergnügen
sich zu befinden glauben, und gerade wie man im Vergleiche mit dem
Schwarzen das Graue aus Unkenntniß des Weißen betrachtet, sie ebenso
auch im Vergleiche mit dem Schmerzlosen auf den Schmerz hinblicken
und aus Unkenntniß des Vergnügens getäuscht werden? – Nein, bei Gott,
sagte er, nicht wundern würde ich mich hierüber, sondern weit eher
darüber, wenn es sich nicht so verhielte. – Bedenke es also wenigstens
folgendermaßen, sagte ich; sind nicht Hunger und Durst und das
Derartige ein gewisses Leersein bezüglich des körperlichen Zustandes? –
Wie sollte es anders sein? – Unkenntniß aber und Unverstand, sind diese
nicht hinwiederum eine Leerheit bezüglich des Zustandes der Seele? – Ja
wohl, gar sehr. – Nicht wahr also, ein Vollwerden träte sowohl bei jenem
ein, welcher Nahrung bekömmt, als auch bei demjenigen, welcher
verständig wird? – Wie sollte es anders sein? – Ist aber in höherem
Grade ein wahrhaftes Erfüllen jenes mit einem geringeren Sein, oder
jenes mit einem höheren Sein? – Klärlich jenes mit einem höheren Sein.
– Welche von beiden Gattung nun ist nach deiner Meinung in höherem
Grade der Wesenheit theilhaftig, die Gattung, zu welcher Brod und
Getränke und Zuspeise und überhaupt die gesammte Nahrung gehört,
oder jene, zu welcher die wahre Meinung und das Wissen und im
Allgemeinen die gesammte Vortrefflichkeit? Beurtheile es aber
folgendermaßen: Scheint dir dasjenige, was an das stets Gleiche und an
das Unsterbliche und an die Wahrheit sich anreiht und selbst ein
Derartiges ist und in Derartigem entsteht, in höherem Grade ein Sein zu
haben, oder jenes, was an das niemals Gleiche und an das Sterbliche sich
anreiht und eben ein Derartiges ist und in Derartigem entsteht? – Bei
Weitem ja, sagte er, ragt jenes hervor, was an das stets Gleiche sich
anreiht. – Ist aber die Wesenheit des stets Gleichen etwa in höherem
Grade der Wesenheit als der Wahrheit theilhaftig? – Keineswegs. – Wie
aber? etwa der Wahrheit in höherem Grade theilhaftig? – Auch dieß
nicht. – Falls sie aber etwa in geringerem Grade der Wahrheit theilhaftig
wäre, würde sie dann nicht auch in geringerem Grade der Wesenheit
theilhaftig sein? – Ja, nothwendiger Weise. – Nicht wahr also, überhaupt
ist jene Gattung, welche die Pflege des Leibes betrifft, in geringerem
Grade der Wahrheit und der Wesenheit theilhaftig, als diejenige, welche
die Pflege der Seele betrifft? – Ja, bei Weitem. – Glaubst du aber nicht
das Nemliche auch vom Körper selbst im Vergleiche mit der Seele? – Ja,
gewiß. – Nicht wahr also, dasjenige, was mit einem in höherem Grade
Seienden erfüllt wird und selbst ein in höherem Grade Seiendes ist, wird
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