Page 36 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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ärndten, weil er nemlich meinte, eine sehr schöne Beantwortung bereit
zu haben; andrerseits aber zierte er sich eine Zeit lang mit einem Streite
darüber, daß ich der Antwortende sein solle, zuletzt aber gab er nach und
sagte: dieß demnach ist die Weisheit des Sokrates, daß er selbst nicht
lehren, von den Anderen aber, bei ihnen herumgehend, lernen und zwar
hiefür nicht einmal Dank erstatten will. – Daß ich zwar von den Anderen
lerne, erwiederte ich, sagst du der Wahrheit gemäß, o Thrasymachos;
aber was du da behauptest, daß ich keinen Dank erlege, ist unwahr; denn
ich erlege jenen, welchen ich kann; ich kann aber nur Lob spenden, denn
Geld habe ich nicht, daß ich aber jenes bereitwillig thue, wann mir
Jemand richtig zu sprechen scheint, wirst du augenblicklich sehr genau
erfahren, sobald du deine Beantwortung aussprichst; denn ich glaube
wirklich, daß du richtig sprechen werdest. – So höre denn, sagte er; ich
behaupte nemlich, das Gerechte sei nichts Anderes als das dem Stärkeren
Zuträgliche. Aber warum spendest du denn kein Lob? Du wirst wohl
eben nicht wollen. – Ja, wann ich es vorerst verstanden habe, sagte ich,
was du hiemit meinest; bis jetzt nemlich weiß ich es noch nicht. Du
behauptest, das dem Stärkeren Zuträgliche sei gerecht; und was meinst
du denn wohl hiemit, o Thrasymachos? Du behauptest nemlich doch
wohl nicht Folgendes, daß wenn der Pankratiast PolydamasPolydamas,
ein geborner Thrakier, war einer der berühmtesten Athleten seiner Zeit;
sein olympischer Sieg im Pankration fällt in d. J. 408 v. Chr.; zu dem
Pankration übrigens gehörten folgende fünf gymnische Künste: der
Faustkampf, das Ringen, der Wettlauf, das Springen, das Diskuswerfen.
stärker als wir ist, und ihm für seinen Körper das Ochsenfleisch
zuträglich ist, diese Speise dann auch für uns, die wir schwächer sind als
er, zugleich zuträglich und gerecht sei. – Du bist unausstehlich, o
Sokrates, sagte er, und du greifst es eben in jener Beziehung auf, in
welcher du meinen Ausspruch am meisten mißhandeln kannst. –
Keineswegs, mein Bester, erwiederte ich; sondern gib nur deutlicher an,
was du meinst. – Weißt du dann etwa nicht, sagte er, daß von den Staaten
die einen durch einen Gewaltherrscher, die anderen durch das Volk, die
anderen durch die je Hervorragendsten regiert werden? – Wie sollte ich
ja nicht es wissen? – Nicht wahr also eben dieses übt in jedem Staate
seine Stärke aus, nemlich das je Herrschende? – Ja allerdings. – Es stellt
aber ja jede Herrschaft die Gesetze im Hinblicke auf das ihr selbst
Zuträgliche aus, nemlich die Volksherrschaft volkstümliche, die
Gewaltherrschaft gewaltmäßige, und so auch die übrigen; nachdem sie
dieselben aber aufgestellt, sprechen sie aus, daß dieses für die
Beherrschten das Gerechte sei, nemlich das jenen selbst Zuträgliche, und
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