Page 41 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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ein, und gebührt es sich auch für die Kunst überhaupt nicht, daß sie für
                irgend etwas Anderweitiges das Zuträgliche suche, als eben für jenes,
                dessen Kunst sie ist, sondern ist sie wirklich in sich selbst als eine

                richtige Kunst unversehrt und lauter, so lange nemlich eine jede in
                Genauigkeit ganz jene ist, welche sie ist? Und erwäge dieß also nach
                jenem genauen Begriffe, ob es sich wirklich so oder etwa anders
                verhalte. – Eben so, sagte er, zeigt sich’s. – Nicht also, sagte ich, erwägt
                eine Arzneikunst für eine Arzneikunst das Zuträgliche, sondern für einen
                Körper. – Ja, sagte er. – Und also auch nicht eine Pferde-Kunde für eine
                Pferde-Kunde, sondern eben für die Pferde; und also erwägt auch keine

                andere Kunst es für sich selbst, denn sie bedarf dieß nicht erst noch,
                sondern eben für jenes, dessen Kunst sie ist? – Ja, es zeigt sich so, sagte
                er. – Nun aber, o Thrasymachos, herrschen ja die Künste über jenes,
                dessen Künste sie sind, und üben auf dasselbe ihre Stärke aus. – Er
                machte auch hierin das Zugeständniß, und zwar sehr mit Noth. – Also
                keine Wissenschaft erwägt oder gebietet das dem Stärkeren Zuträgliche,

                sondern das dem Schwächeren und von ihr Beherrschten Zuträgliche. –
                Er gab zuletzt auch dieses noch zu, versuchte aber, betreffs desselben zu
                streiten. – Jedoch nachdem er es zugegeben hatte, sprach ich: Verhält
                sich’s also etwa anders, als daß auch ein Arzt, insoweit er Arzt ist, nicht
                das dem Arzte Zuträgliche erwägt oder gebietet, sondern das dem
                Kranken? Denn zugegeben ist, daß der eigentliche Arzt ein Beherrscher
                der Körper, nicht aber ein Gelderwerber ist. – Er bejahte es. – Nicht wahr

                also auch, daß der Steuermann im eigentlichen Sinne ein Beherrscher der
                Seefahrer, nicht aber ein Seefahrer ist? – Ja, zugegeben ist dieß. – Nicht
                also wird der derartige Steuermann und Herrscher das dem Steuermanne
                Zuträgliche erwägen und gebieten, sondern das dem Seefahrer und
                Beherrschten. – Er bejahte es mit Noth. – Nicht wahr also, o
                Thrasymachos, sagte ich, auch kein Anderer in irgend einer Herrschaft

                wird, insoweit er eben Herrscher ist, das für ihn selbst Zuträgliche
                erwägen oder gebieten, sondern das für den Beherrschten und für
                denjenigen Zuträgliche, welchem er selbst der Werkmeister ist; und
                indem er auf jenes und das für dieses Zuträgliche und Geziemende sieht,
                wird er sowohl Alles sagen, was er sagt, als auch Alles thun, was er thut.
                     16. Nachdem wir also bei diesem Punkte unserer Begründung
                angekommen waren, und es Allen augenfällig war, daß der Begriff des

                Gerechten in das Gegentheil des vorigen sich verwandelt hatte, sprach
                Thrasymachos, anstatt zu antworten: Sage mir, o Sokrates, hast du eine
                Amme? – Wie so? sagte ich. Hättest du nicht vielmehr antworten, als
                eine derartige Frage stellen sollen? – Weil sie, sagte er, es übersieht,





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