Page 39 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
P. 39

eben diesen Irrthum. Hingegen ja, glaube ich, sprechen wir wohl dem
                Wortausdrucke nach so, daß der Arzt irrte, und daß der Rechner irrte,
                und daß der Schreiber; aber, glaube ich, ein jeder von diesen irrt niemals,

                insoweit er eben wirklich dasjenige ist, als was wir ihn bezeichnen.
                Folglich wird nach dem genauen Begriffe, da ja auch du die Begriffe
                genau nimmst, keiner unter den Werkmeistern irren; denn indem ein
                Wissen ihn im Stiche läßt, irrt der Irrende, wobei er eben dann nicht
                Werkmeister ist. Folglich irrt kein Werkmeister oder kein Weiser oder
                kein Herrscher gerade dann, wann er Herrscher ist; hingegen Jedweder
                wohl würde sich so ausdrücken, daß der Arzt irrte, und daß der Herrscher

                irrte. Derartiges also nun nimm jetzt an, daß auch ich dir antworte;
                hingegen das Genaueste ist eben jenes, daß der Herrscher, so weit er
                Herrscher ist, nicht irrt, aber als ein nicht Irrender dasjenige aufstellt,
                was für ihn das Beste ist, dieß aber der Beherrschte thun müsse. Folglich,
                wie ich schon zu Anfang sagte, bezeichne ich als gerecht das dem
                Stärkeren Zuträgliche. –

                     15. Nur weiter, o Thrasymachos, sagte ich; scheine ich dir wirklich
                ein Wortverdreher zu sein? – Ja wohl, gar sehr, erwiederte er. – Glaubst
                du nemlich, daß ich mit Hinterlist in meinen Reden böswillig verfuhr
                und dich fragte, um was ich dich eben fragte? – Ja ich weiß es sogar sehr
                wohl, sagte er; und es soll dir dieß wenigstens Nichts weiter mehr
                nützen; denn weder wird es mir entgehen, wenn du böswillig verfährst,
                noch auch wirst du wohl, insoferne es mir nicht entgeht, mich durch das,

                was du sagst, wider meinen Willen zu einer anderen Ansicht zwingen
                können. – Dieß möchte ich aber, o du Hochzupreisender, ja auch nicht
                einmal versuchen, sprach ich; aber damit uns nicht noch einmal ein
                derartiger Zwischenfall begegne, so stelle du nun fest, in welcher von
                den zwei Bedeutungen du hiebei den Herrschenden und den Stärkeren
                verstehest, ob nemlich jener, wie man es gewöhnlich so sagt, oder ob der

                nach dem genauen Begriffe, wie du jetzt eben sagtest, es sei, für welchen
                als den Stärkeren das ihm Zuträgliche in Folge der Gerechtigkeit der
                Schwächere thun müsse. – Jener, sagte er, welcher nach dem genaueren
                Begriffe der Herrscher ist; auf dieß hin nun verfahre böswillig und
                verdrehe die Worte, wenn du kannst; von dir erbitte ich mir gar keine
                Schonung; aber du wirst eben kurzweg nicht können. – Ja glaubst du
                denn, sprach ich, ich sei so wahnsinnig, daß ich etwa versuche, einen

                Löwen zu scheerenSprüchwörtliche Redensart für fruchtloses Beginnen,
                wie z. B. auch »einen Mohren waschen« oder »einen Ziegelstein
                waschen«. und einen Thrasymachos durch Wortverdrehungen zu
                überlisten? – Jetzt wenigstens aber, sagte er, hast du es versucht, und





                                                           38
   34   35   36   37   38   39   40   41   42   43   44