Page 43 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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sein; von Allem aber am leichtesten wirst du es einsehen, wenn du dich
zu jener vollendetsten Ungerechtigkeit wendest, welche den
Unrechtthuenden zum glücklichsten, diejenigen aber, welche solches
Unrecht erleiden und selbst nicht Unrecht thun wollen, zu den
unglücklichsten macht. Es ist aber dieß die Gewaltherrschaft, welche
nicht etwa bloß allmälig das Fremde sowohl heimlich als auch durch
Gewaltthat, mag es unter Tempel-Schutz oder unter Rechts-Schutz
stehen, oder mag es Privat-oder öffentliches Gut sein, hinwegnimmt,
sondern gleich Alles zumal; wann nemlich im Einzelnen in diesen
Dingen Jemand Unrecht thut und hiebei entdeckt wird, so wird er
bestraft und trägt die größte Schande, denn Tempelräuber und
Seelenverkäufer und Räuber und Plünderer und Diebe heißt man jene,
welche im Einzelnen durch eine derartige böse That Unrecht thun;
hingegen wann Jemand neben dem Vermögen der Bürger auch noch
diese selbst zu Sklaven macht und knechtet, so werden sie nicht mit
jenen schändlichen Namen, sondern glückliche und selige genannt, und
zwar nicht bloß von jenen Bürgern selbst, sondern auch von allen
denjenigen, welchen es kund wird, daß Einer vermöge der umfassenden
Ungerechtigkeit Unrecht gethan hat; denn nicht aus Furcht vor dem
Ausüben des Unrechtes, sondern aus Furcht vor dem Erleiden desselben
schmähen diejenigen die Ungerechtigkeit, welche sie schmähen. Auf
diese Weise, o Sokrates, ergibt sich hinreichend, daß etwas Kräftigeres
und Freieres und Herrischeres die Ungerechtigkeit ist, als die
Gerechtigkeit, und, was ich zu Anfang sagte, das dem Stärkeren
Zuträgliche ist das Gerechte, das Ungerechte aber ist ein für sich selbst
Gewinnbringendes und zuträgliches. –
17. Nachdem Thrasymachos dieses gesprochen hatte, war er Willens
fortzugehen, indem er gleichsam wie ein Bademeister über unsere Ohren
herab aus einem Schöpfeimer seine gesammte und ausgiebige Rede
gegossen hatte; nicht jedoch ließen dieß die Anwesenden zu, sondern
nöthigten ihn, auszuharren und über das Gesagte Rechenschaft zu geben.
Und auch ich selbst denn bat ihn sehr und sprach: O wunderlicher
Thrasymachos, welche Rede doch hast du da hereingeschleudert und bist
jetzt Willens, fortzugehen, noch ehe du hinreichend uns gelehrt oder
selbst gelernt hast, ob es sich wirklich so oder anders verhalte; oder
glaubst du, du habest die Feststellung eines kleinen Dinges
unternommen, und nicht die der gesammten Führung des Lebens,
vermöge deren wohl ein Jeder von uns das vorteilhafteste Leben
durchleben könnte? – Glaube denn etwa ich, sagte Thrasymachos, daß
dem nicht so sei? – Du scheinst ja, erwiederte ich, entweder um uns dich
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