Page 48 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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wollen? sagte er. – Wenn wir demnach, sprach ich, uns ihm
entgegenstemmen und Rede gegen Rede vorbringen, wie viele Güter
hinwiederum das Gerechtsein in sich enthalte, und dann wieder dieser
eine Rede vorbringt, und noch eine andere wieder wir, so werden wir die
Güter zählen und abmessen müssen, wie viele nemlich wir beiderseits an
beidem anführen, und wir werden hiezu bereits irgend Richter bedürfen,
welche das Urtheil fällen sollen; wann wir hingegen, wie so eben, in
gegenseitig hervorgerufenen Zugeständnissen die Erwägung anstellen;
werden wir selbst zugleich sowohl Richter als auch Redner sein. – Ja
wohl, allerdings, sagte er. – In welcher von beiden Weisen also, sagte
ich, gefällt es dir? – Eben in dieser, sagte er. –
20. So komm also, o Thrasymachos, sprach ich, und antworte uns
wieder von Anfang an. Du behauptest, die vollendete Ungerechtigkeit sei
gewinnbringender als die vollendete Gerechtigkeit? – Ja, allerdings,
sagte er, behaupte ich es sowohl, als auch habe ich angegeben, warum. –
Wohlan denn nun, wie meinst du es betreffs derselben in Folgendem: das
eine derselben nennst du doch wohl eine Vortrefflichkeit und das andere
eine Schlechtigkeit? – Wie sollte ich nicht? – Nicht wahr also, die
Gerechtigkeit nennst du eine Vortrefflichkeit, die Ungerechtigkeit aber
eine Schlechtigkeit? – Es sieht auch darnach aus, mein Süßester, sagte er,
nachdem ich gesagt habe, daß die Ungerechtigkeit gewinnbringend sei,
die Gerechtigkeit aber nicht! – Aber nun was denn sonst? – Gerade das
Gegentheil, sagte er. – Also nennst du etwa die Gerechtigkeit eine
Schlechtigkeit? – Nein, sondern eine gar edle Gutwilligkeit. – Die
Ungerechtigkeit also nennst du eine Böswilligkeit? – Nein, sagte er,
sondern eine Wohlberathenheit. – Scheinen dir etwa, o Thrasymachos,
auch verständig und gut die Ungerechten zu sein? – Ja, sagte er,
wenigstens diejenigen, welche im Stande sind, in vollendeter Weise
Unrecht zu thun, indem sie die Fähigkeit haben, sowohl Staaten als auch
Volksstämme der Menschen unter sich zu bringen. Du aber meinst
vielleicht, ich spreche hiebei von den Beutelschneidern; nun,
gewinnbringend, sagte er, ist auch derartiges, wann es unbemerkt
geschieht, aber solches ist nicht des Redens werth, hingegen eben jenes,
wovon ich so eben sprach. – Dieß nun allerdings, sagte ich, sehe ich
wohl ein, was du hiemit meinest; hingegen darüber wundere ich mich,
wenn du wirklich die Ungerechtigkeit in der Geltung einer
Vortrefflichkeit und Weisheit aufführst, die Gerechtigkeit aber unter dem
Entgegengesetzten. – Aber allerdings ja führe ich sie so auf. – Dieß nun,
sagte ich, ist bereits etwas Greifbareres, mein Freund, und es ist nun
nicht mehr leicht Etwas zu finden, was man weiter noch sagen soll; denn
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