Page 49 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
P. 49

wenn du die Behauptung aufgestellt hättest, daß die Ungerechtigkeit
                wohl gewinnbringend sei, du aber dabei wie gewisse andere Leute
                zugegeben hättest, daß sie eine Schlechtigkeit und etwas Schimpfliches

                sei, so fänden wir wohl noch Etwas zu sprechen, insoferne wir gemäß
                der allgemein gültigen Ansichten sprechen würden; nun aber ist klar, daß
                du behauptest, es sei jenes etwas Schönes und Kraftvolles, und daß du
                ihm auch alles Uebrige beifügst, was wir dem Gerechten beifügten,
                nachdem du ja einmal es gewagt hast, es zur Vortrefflichkeit und
                Weisheit zu rechnen. – Völlig richtig, sagte er, erräthst du es. – Nicht
                jedoch, erwiederte ich, darf ich ja davor zurückschrecken, es vermöge

                meiner Begründung erwägend durchzugehen, so lange ich nur annehmen
                darf, daß du sagst, was du dir denkst; denn du scheinst mir, o
                Thrasymachos, doch so ziemlich uns jetzt nicht zum Besten haben zu
                wollen, sondern zu sagen, was dir betreffs der Wahrheit dünkt. – Warum
                aber, sagte er, soll es dir denn einen Unterschied machen, ob es mir
                wirklich so dünke oder nicht, und warum hingegen überführst du nicht

                meine Begründung? – Keinen Unterschied allerdings macht es mir, sagte
                ich; aber Folgendes noch zu dem Bisherigen versuche mir zu
                beantworten: Scheint dir der Gerechte in irgend Etwas dem Gerechten es
                zuvorthun zu wollen? – In keiner Beziehung, sagte er; denn dann wäre er
                ja nicht jener köstliche Mensch, der er jetzt ist, und wäre ja nicht
                gutwillig. – Was weiter? will er es dem gerechten Handeln zuvorthun? –
                Nein, auch nicht dem gerechten Handeln, sagte er. – Aber würde er

                wünschen, dem Ungerechten es zuvorzuthun, und würde er solches für
                gerecht halten oder nicht? – Für gerecht halten, sagte er, und auch
                wünschen würde er es wohl, aber die Fähigkeit dazu würde er nicht
                haben. – Aber nicht darum, erwiederte ich, frage ich dich, sondern ob der
                Gerechte im Vergleiche mit dem Gerechten nicht den Wunsch und den
                Willen habe, es ihm zuvorzuthun, wohl hingegen im Vergleiche mit dem

                Ungerechten? – Ja, so verhält sich’s wirklich, sagte er. – Wie aber nun
                steht es mit dem Ungerechten? wünscht er wirklich dem Gerechten und
                dem gerechten Handeln es zuvorzuthun? – Wie sollte er nicht, sagte er,
                der ja Allem es zuvorzuthun wünscht? – Nicht wahr, also auch dem
                ungerechten Menschen und dem ungerechten Handeln wird es der
                Ungerechte zuvorthun, und er wird in die Wette kämpfen, um von Allem
                das Meiste selbst zu bekommen? – Ja, so ist es. –

                     21. Wir wollen es demnach, sagte ich, folgendermaßen ausdrücken:
                der Gerechte thut es dem ihm Gleichen nicht zuvor, wohl aber dem ihm
                Ungleichen, hingegen der Ungerechte thut es sowohl dem ihm Gleichen,
                als auch dem ihm Ungleichen zuvor. – Vortrefflich, sagte er, hast du es





                                                           48
   44   45   46   47   48   49   50   51   52   53   54