Page 54 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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wir es noch Besser erwägen, denn nicht um das nächste Beste handelt es
                sich bei dieser Begründung, sondern darum, in welcher Weise man das
                Leben führen müsse. – So erwäge es denn nun, sagte er. – Ja, ich erwäge

                es, erwiederte ich, und du sage mir: Scheint es dir eine Werkthätigkeit
                eines Pferdes zu geben? – Ja, gewiß. – Würdest du also nun dasjenige als
                die Werkthätigkeit sowohl eines Pferdes, als auch jedweden anderen
                Dinges bezeichnen, was man entweder nur durch jenes Ding allein, oder
                wenigstens im höchsten Grade durch dasselbe erreichen könnte? – Dieß
                verstehe ich nicht, sagte er. – Aber wohl folgendermaßen: Gibt es etwas
                Anderes, vermittelst dessen du sehen könntest, als die Augen? – Nein,

                sicher nicht. – Was weiter? könntest du vermittelst eines Anderen als der
                Ohren hören? – Keineswegs. – Nicht wahr also, mit Recht würden wir
                sagen, daß solches die Werkthätigkeit solcher Dinge sei? – Ja, allerdings.
                – Was weiter? eine Rebe eines Weinstockes könntest du wohl vermittelst
                eines Schwertes und eines Messers und vieler anderer Dinge
                abschneiden? – Warum auch nicht? – Aber vermittelst keines anderen

                Dinges, glaube ich, so gut, wie vermittelst einer Hippe, welche eigens
                hiezu gemacht ist. – Dieß ist wahr. – Wollen wir also nicht solches als
                die Werkthätigkeit eines Solchen bezeichnen?– Nun ja, wir wollen es. –
                     24. Jetzt denn nun, glaube ich, dürftest du wohl besser verstehen, um
                was ich so eben fragte, als ich wissen wollte, ob nicht dasjenige die
                Werkthätigkeit eines jeden Dinges sei, was entweder durch dasselbe
                allein, oder wenigstens von ihm am schönsten bewerkstelligt wird. –

                Aber ich verstehe es nun ja auch, sagte er, und zugleich scheint mir
                solches wirklich die Werkthätigkeit eines jeden Dinges zu sein. – Weiter,
                sagte ich; nicht wahr, also auch eine Vortrefflichkeit scheint es dir bei
                jedem Dinge zu geben, welchem irgend eine Werkthätigkeit obliegt? Wir
                wollen aber dabei auf die nemlichen Dinge zurückgehen. Gibt es, sagen
                wir nemlich, eine Werkthätigkeit der Augen? – Ja, es gibt eine solche. –

                Gibt es also wohl auch eine Vortrefflichkeit der Augen? – Ja, auch eine
                Vortrefflichkeit. – Was weiter? gab es uns eine Werkthätigkeit der
                Ohren? – Ja. – Nicht wahr, also auch eine Vortrefflichkeit derselben? –
                Ja, auch eine Vortrefflichkeit. – Wie aber? verhält es sich nicht betreffs
                aller übrigen Dinge ebenso? – Ja, ebenso. – So halte dieß denn nun fest.
                Würden also wohl jemals die Augen ihre eigene Werkthätigkeit gut
                verrichten können, wenn sie nicht die ihnen eigenthümliche

                Vortrefflichkeit hätten, sondern Schlechtigkeit, statt der Vortrefflichkeit?
                – Und wie sollten sie dieß dann? sagte er; hiemit nemlich bezeichnest du
                wohl vielleicht das Blindsein an der Stelle des Sehens. – Welcherlei
                immer ihre Vortrefflichkeit sein mag, sagte ich; denn um dieß gerade





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