Page 55 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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habe ich noch nicht gefragt, sondern nur ob das Verrichtende vermöge
der ihm eigenthümlichen Vortrefflichkeit seine ihm eigene
Werkthätigkeit gut verrichte, und schlecht vermöge der Schlechtigkeit. –
Dieß wenigstens, sagte er, ist gewiß wahr. – Nicht wahr also, auch die
Ohren wenden, wenn sie ihrer eigenen Vortrefflichkeit entbehren, die
ihnen eigene Werktätigkeit schlecht verrichten? – Ja, allerdings. –
Werden wir also auch alles Uebrige der gleichen Begründung einreihen?
– So scheint es mir wenigstens. – So komm denn nun und erwäge
hiernach Folgendes: Gibt es irgend eine Werkthätigkeit der Seele, welche
du vermittelst keines einzigen anderen von allen übrigen Dingen
vollführen könntest? wie z. B. das derartige: Fürsorge zu treffen und eine
Herrschaft auszuüben und Berathung zu pflegen und alles dergleichen,
könnten wir solches mit Recht irgend einem anderen Dinge, als eben nur
der Seele zuweisen und es als das ihm Eigenthümliche bezeichnen? –
Nein, keinem anderen. – Wie aber hinwiederum ist es mit dem Leben?
werden wir sagen, daß es eine Werkthätigkeit der Seele sei? – Ja, im
höchsten Grade, sagte er. – Nicht wahr also, wir werden auch sagen, daß
es irgend eine Vortrefflichkeit der Seele gebe? – Ja, wir sagen es. – Wird
also wohl jemals, o Thrasymachos, die Seele, wenn sie der ihr
eigenthümlichen Vortrefflichkeit entbehrt, ihre Werkthätigkeiten gut
verrichten, oder ist dieß unmöglich? – Es ist unmöglich. – Nothwendig
also ist es für eine schlechte Seele, daß sie in schlechter Weise eine
Herrschaft ausübe und eine Fürsorge treffe, hingegen für die gute, daß
sie all dieses gut vollführe. – Ja, nothwendig. – Nicht wahr also, wir
haben ja zugestanden, daß eine Vortrefflichkeit der Seele die
Gerechtigkeit sei, eine Schlechtigkeit aber die Ungerechtigkeit? – Ja,
zugestanden haben wir es allerdings. – Also die gerechte Seele und der
gerechte Mann werden gut ihr Leben führen, schlecht aber der
ungerechte. – Ja, so zeigt sich’s, sagte er, gemäß deiner Begründung. –
Nun aber ist ja derjenige, welcher gut lebt, glückselig und glücklich, das
Gegentheil hievon aber derjenige, welcher es nicht thut. – Wie sollte es
auch nicht so sein? – Also der Gerechte ist glücklich, der Ungerechte
aber unglücklich. – Sie mögen es sein, sagte er. – Nun aber unglücklich
zu sein, ist ja nicht gewinnbringend, wohl hingegen, glücklich zu sein. –
Wie sollte es auch nicht so sein? – Niemals also, o du hochzupreisender
Thrasymachos, ist Ungerechtigkeit gewinnbringender als Gerechtigkeit.
– Dieß demnach, o Sokrates, sagte er, sei dir an den Bendideens. oben
Anm. 2[1]. Uebrigens ist der Gebrauch der Worte »Festschmaus«,
»schmausen« nur die Fortsetzung der gleichnißweisen Ausdrücke,
welche wir oben zu Anfang der zweiten Hälfte des vorigen Cap. trafen.
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