Page 52 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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ich möchte es ungefähr folgendermaßen erwägen: Würdest du wohl von
                einem Staate sagen, daß er ungerecht sei und daß er es in ungerechter
                Weise versuche, andere Staaten zu knechten und geknechtet zu haben,

                und daß er auch schon viele in Knechtschaft sich unterjocht habe? – Wie
                sollte ich nicht? sagte er; und dieß ja wird eben der tüchtigste Staat thun
                und jener, welcher in der vollendetsten Weise ungerecht ist. – Ich
                verstehe sehr wohl, sagte ich, daß dieß damals deine Begründung war;
                aber ich erwäge in diesem Betreffe Folgendes: wird jener Staat, welcher
                im Vergleiche mit einem anderen der stärkere war, diese Macht ohne
                Gerechtigkeit behaupten, oder muß er es nothwendig mit Gerechtigkeit?

                – Falls, sagte er, wie du so eben angabst, die Gerechtigkeit eine Weisheit
                ist, dann allerdings mit Gerechtigkeit, falls hingegen es sich verhält, wie
                ich angab, dann mit Ungerechtigkeit. – Es freut mich ja sehr, o
                Thrasymachos, erwiederte ich, daß du nicht bloß mit dem Kopfe nickest
                oder ihn schüttelst, sondern auch ganz schön antwortest. – Ich will ja,
                sagte er, dir zu Gefallen sein. – Da thust du sehr gut daran; aber nun sei

                mir auch im Folgenden noch zu Gefallen und sage mir: Glaubst du, daß
                ein Staat oder ein Heerlager oder Räuber oder Diebe oder irgend eine
                andere Menschenmasse, welche gemeinschaftlich in ungerechter Weise
                an irgend Etwas sich macht, Etwas zu vollführen fähig sei, wenn sie sich
                gegenseitig Unrecht thun? – Nein, sicher nicht, sagte er. – Wie aber,
                woferne sie nicht Unrecht thun, werden sie da nicht in höherem Grade es
                fähig sein? – Ja, allerdings. – Nemlich Aufruhr doch wohl, o

                Thrasymachos, bringt ja die Ungerechtigkeit mit sich und Haß und
                wechselseitige Kämpfe, hingegen die Gerechtigkeit Eintracht und Liebe;
                oder wie sonst? – Es sei so, sagte er; damit ich mich mit dir nicht
                entzweie. –
                     23. Aber da thust du ja sehr gut daran, mein Bester. Folgendes aber
                sage mir noch: Wird also, wenn dieß die Wirkung der Ungerechtigkeit

                ist, daß sie Haß erzeugt, wo immer sie sich findet, sie dann nicht bei
                ihrem Entstehen sowohl unter Freien, als auch unter Sklaven bewirken,
                daß sie gegenseitig einander hassen und in Aufruhr und unfähig sind,
                Etwas gemeinschaftlich mit einander zu vollführen? – Ja, allerdings
                wohl. – Wie aber nun? wann sie bloß zwischen Zweien entsteht, werden
                diese sich nicht entzweien und einander hassen und Feind sein sowohl
                unter sich, als auch gegen das Gerechte? – Ja, sie werden es sein, sagte

                er. – Wann aber denn nun, du Wunderlicher, in Einem Ungerechtigkeit
                entsteht, wird sie da etwa ihre eigene Geltung verlieren, oder sie dennoch
                ebenso behalten? – Nun, sie möge sie dennoch ebenso behalten, sagte er.
                – Nicht wahr also, es zeigt sich, daß sie hiemit eine derartige Geltung





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