Page 394 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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der Uebrigen gleiches Loos zu gewarten hatte; [war ich doch, sage ich,]
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unbedenklich den furchtbarsten Stürmen, ja fast den Blitzen sogar zur
Rettung meiner Mitbürger entgegengetreten, und hatte durch meine
persönliche Gefahr die gemeinsame Ruhe der andern Bürger erstrebt.
Denn nicht unter der Voraussetzung hat das Vaterland uns erzeugt und
erzogen, daß es von uns keine Art von Nährgeld erwartete, und, blos
unserer Behaglichkeit Vorschub leistend, uns einen gesicherten
Zufluchtsort für ein Leben in Muße und einen ungestörten Ruhesitz
gewährte; nein, sondern um recht viele und die bedeutendsten Kräfte
unseres Gemüthes, unseres Geistes und unserer Einsicht zu seinem
Nutzen in Anspruch zu nehmen, für unsere persönlichen Zwecke aber
uns so viel Spielraum zu lassen, als es, ohne sich selbst Eintrag zu thun,
gewähren konnte.
5. Jene Ausflüchte aber, die sie zu ihrer Entschuldigung vorbringen,
um ihre Muße ungestörter zu genießen, verdienen gar nicht einmal
angehört zu werden; wenn sie zum Beispiel sagen: es drängen sich zu der
Staatsverwaltung in der Regel Leute von nichtswürdigem Charakter;
neben die sich zu stellen, erniedrigend, sich mit ihnen herumzuschlagen
aber, besonders wenn sie die Menge aufgereizt hätten, unheilbringend
und gefährlich sey. Aus diesem Grunde sey es weder weise, die Zügel zu
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ergreifen, da man die tolle und unbändige Leidenschaft des Pöbels
doch nicht bändigen könne; noch anständig, sich mit verächtlichen und
rohen Gegnern herumzubalgen, und dabei entweder sich höhnender
Mißhandlung auszusetzen, oder sich Kränkungen bloß zu stellen, die der
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Weise nicht an sich kommen lassen dürfe: als ob es für Männer von
Edelsinn, von Muth und Seelengröße einen dringendern Grund geben
könnte, dem Vaterlande ihre Dienste zu weihen, als den, den
Schlechtgesinnten nicht gehorchen zu müssen, und den Staat nicht von
solchen Menschen zerfleischen zu lassen, wo sie dann, wenn es so weit
gekommen ist, bei allem guten Willen nicht mehr helfen können. 57
6. Wer kann aber nun vollends jener Einwendung Recht geben, wenn
sie sagen, der Weise werde in keiner Hinsicht Theil an Staatsgeschäften
nehmen, außer wenn ihn die Umstände oder die gebieterische
Nothwendigkeit dazu zwingen? Als ob irgend einem Menschen eine
dringendere Nöthigung vorkommen könnte, als mir vorkam! Was hätte
ich in jenem Falle thun können, wenn ich nicht Consul gewesen wäre?
Wie konnte ich aber Consul seyn, wenn ich nicht von Jugend an die
Laufbahn verfolgt hätte, vermöge der ich, obwohl [nur] im Ritterstande
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geboren, dennoch zum höchsten Range emporsteigen konnte. Es steht
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