Page 397 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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                gegenwärtigen Bewegungen im Staate.   – Nun freilich, du findest mich
                so; aber doch ist meine Muße mehr äußerlich als innerlich: [denn mein
                Gemüth ist beschäftigt genug.] – Ey, erwiederte Tubero, du mußt auch
                dem Gemüthe eine Abspannung vergönnen; denn wir haben uns, unser
                Viele, entschlossen. wenn es dir nicht ganz ungelegen ist, deine
                gegenwärtige Muße in Beschlag zu nehmen. – Dagegen wende ich nichts
                ein; komme ich dadurch doch auch einmal wieder zu einer
                wissenschaftlichen Unterhaltung.

                     10. Nun, sprach Jener, weil du mich doch gewissermaßen aufrufst,
                und Hoffnung gibst, du werdest zu haben seyn, wollen wir nicht, mein
                Africanus, bevor noch die Andern kommen, uns erst darüber
                verständigen, was es denn mit jener Nebensonne für eine Bewandniß
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                habe, von welcher im Senate die Meldung vorkam.   Denn es sind nicht
                wenige und unbedeutende Gewährsmänner, welche zwo Sonnen gesehen
                zu haben behaupten; so daß wir in dem Falle sind, nicht sowohl ihnen
                Glauben versagen, als nach den Gründen dieser Erscheinung fragen zu
                müssen. Wie sehr wünschte ich, erwiederte Scipio, wir hätten unsern
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                Panätius   hier bei uns. Das ist ein Mann, der unter andern besonders
                auch über dergleichen Ereignisse am Himmel vorzüglich eifrig
                nachzudenken pflegt. Wiewohl ich, mein Tubero, (denn ich äußere hier
                unter vier Augen meine Ansicht ganz unverholen) jenem unserm guten

                Freunde in Beziehung auf jenes ganze Gebiet der Forschung nicht so
                ganz Recht geben kann, da er sich über Dinge, über deren Wesen wir
                kaum Ahnungen und Vermuthungen wagen dürfen, so entscheidend
                ausspricht, daß man meinen sollte, er sehe sie mit leibhaften Augen, oder
                könne sie gar mir Händen greifen. Gerade darum fühle ich mich auch
                gedrungen, den Sokrates für um so weiser zu erklären, da er sich des
                Nachfragens nach allen dergleichen Dingen entschlagen, und geradezu
                behauptet hat, die Forschungen über das Wesen der Naturerscheinungen

                übersteigen entweder die menschlichen Geisteskräfte, oder sie seyen
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                ohne allen Einfluß auf das Leben der Menschen [als Menschen].   Ich
                weiß doch nicht, mein Africanus, sagte darauf Tubero, warum denn so

                bestimmt dem Sokrates nachgesagt wird, er habe alle dergleichen
                Erörterungen verworfen, und in der Regel nur über das menschliche
                Leben von seiner moralischen Seite Untersuchungen angestellt. Denn,
                sprich, können wir über ihn einen vollgültigern Gewährsmann anführen,
                als Plato? und doch spricht Socrates in dessen Schriften an gar vielen
                Stellen, selbst wo er über Sittlichkeit, Tugend, ja über Staat und
                Verfassung sich ausläßt, dennoch so, daß er sich offenbar Mühe gibt,






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