Page 396 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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selbst einigermaßen mit eingegriffen haben. Ohnedieß sind ja
                bekanntlich fast alle jene sieben Männer, welche die Griechen mit dem
                Beinamen Weise bezeichneten, so recht mitten im Staatsleben, also

                Staatsmänner gewesen. Es gibt aber auch wirklich gar keine
                Beschäftigung, wo des Menschen edelste Bestrebungen sich dem Walten
                der Götter mehr näherten, als bei der Gründung neuer oder bei Erhaltung
                schon bestehender Staaten.
                     8. Da ich nun in der günstigen Lage bin, daß ich in dieser Beziehung
                nicht nur in wirklicher Verwaltung des Staates etwas Denkwürdiges
                geleistet habe, sondern auch in der Entwicklung theoretischer Ansichten

                über das Staatsleben nicht bloß durch Uebung, sondern auch durch das
                Bestreben es richtig aufzufassen und vorzutragen, mir eine Gewandtheit
                erworben zu haben bewußt bin; während von meinen Vorgängern die
                Einen zwar im theoretischen Vortrage Meister waren, ohne jedoch im
                praktischen Leben eine politische Wirksamkeit aufweisen zu können: die
                Andern zwar praktisch tüchtig, aber darüber sich redend zu verbreiten

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                unvermögend waren;   so konnte ich mich an dieses Werk machen,
                ohne jedoch aus mir selbst eine bisher unerhörte und neu erfundene
                Theorie herauszuspinnen; ich brauchte vielmehr nur die Unterhaltung
                hochberühmter und ausgezeichnet weiser Männer Einer Zeit im
                Gedächtniß aufzufrischen und darzustellen, die mir und dir [Atticus] als

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                Jüngling einst von P. Rutilius Rufus,   als wir uns mehrere Tage
                beisammen in Smyrna befanden, vollständig mitgetheilt wurde; eine
                Unterhaltung, in welcher meines Erachtens fast Nichts übergangen ist,

                was über diesen Gegenstand in jeder Beziehung eine besondere
                Erörterung zu bedürfen scheinen möchte.
                     9. Da nämlich Publius Africanus, der Sohn des Paullus, unter dem
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                Consulat des Tuditanus und Aquillius,   sich vorgenommen hatte, die
                Latinischen Ferien auf seinen Gütern zuzubringen, und seine

                vertrautesten Freunde ihm zugesagt hatten, sie wollten sich im Laufe
                dieser Tage zahlreich bei ihm einfinden; kam gerade am [ersten] Tage
                des Latinerfestes zu ihm früh Morgens zuerst seiner Schwester Sohn,
                Quintus Tubero. Scipio grüßte ihn freundlich, bezeugte ihm Freude über
                seinen Besuch, und sagte dann: Bist du es, und so frühe, mein Tubero?

                Du hättest in diesen Ferien bequeme Gelegenheit gehabt, dich recht
                gemüthlich mit deinen Studien zu beschäftigen. – Nun, erwiederte er, an
                meine Bücher kann ich zu jeder Zeit gehen, denn sie sind nie von
                Geschäften in Beschlag genommen; aber dich einmal unbeschäftigt zu
                treffen, das muß man für ein hohes Glück schätzen, besonders bei den






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