Page 428 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Menge Lockungen zu Genüssen, die zum Nichtsthun oder zum Aufwand
                verführen. Und was ich vorhin von Korinth gesagt habe, Dieß läßt sich
                [möchte ich fast behaupten] mit voller Wahrheit eigentlich auf ganz

                Griechenland anwenden. Denn nicht nur der Peloponnes ist eigentlich
                fast nichts als Küste    197  und außer den Phliasiern      198  ist kein Staat,
                dessen Gebiet nicht die See berührte; sondern außer dem Peloponnes

                sind bloß die Aenianer, Dorier und Doloper von der Küste entfernt.                199
                Und nun gar vollends die Griechischen Inseln! Ringsumflutet
                schwimmen sie beinahe im eigentlichsten Sinne nebst allen
                Einrichtungen und Sitten ihrer Städte (unstet umher). So ist es, wie
                gesagt, im alten Griechenland. Ist aber von den Griechen je eine Colonie

                in Asien, Thracien, Italien, Sicilien, Afrika [das einzige Magnesia
                ausgenommen       200 ] gegründet worden, die nicht von der See bespült
                würde? So scheinen gleichsam die Griechischen Ansiedelungen wie ein
                Saum an den Barbarenländern angewebt. Von den Barbaren selbst waren
                wirklich in früherer Zeit blos die Etrusker und Pöner [Karthager]

                Seestaaten; die Letztern, um Handel, Jene, um Seeräuberei zu treiben.
                201  In jenen Umständen finde ich nun die offenbare Ursache der Unfälle
                und des Unbestandes (der Staatsformen) in Griechenland, nämlich in den

                Mängeln der Seestädte, die ich kurz vorhin im Umrisse geschildert habe.
                Bei allen diesen Uebelständen findet indessen der große Vortheil statt,
                daß nicht nur die Produkte aller Völker zu der Stadt, wo man wohnt, zu
                Schiffe hergeschafft, sondern auch die eigenen Landesprodukte, wohin
                man nur will, ausgeführt und versendet werden können.
                     5. Wie konnte demnach Romulus mit höherer Einsicht seiner Stadt
                einerseits die Vortheile der Seestädte verschaffen, andererseits ihren

                Fehlern ausweichen, als dadurch, daß er sie an das Ufer eines nie
                versiegenden gleichförmig fortfließenden Stromes anlegte, der in breiter
                Mündung in's Meer ausströmt, wodurch die Stadt von der See her die
                Zufuhr erhalten konnte, die sie bedurfte, dann auch ausführen, woran sie
                Ueberfluß hatte; und daß sie auf demselben Strome die zum Unterhalt
                und zur Lebensverschönerung vorzüglich nöthigen Gegenstände nicht

                nur von der Seeseite her an sich ziehen, sondern auch aus dem
                Binnenlande die eingeführten sich herbringen lassen konnte: so daß ich
                glaube, er habe schon damals geahnet, daß diese Stadt einst einen Sitz
                und Mittelpunkt für ein Weltreich abgeben werde: denn zu einer solchen
                Höhe der Macht hätte es nicht wohl eine auf irgendeinem andern Punkte

                Italiens angelegte Stadt bringen können.         202







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