Page 431 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Menschen von ganz ausgezeichnetem Ruhme wegen ihres hohen
                Werthes verherrlicht wurden. Daß aber Dieß dem Romulus widerfuhr,
                gereicht ihm um so mehr zu hohen Bewunderung, weil Andere, die die

                Sage aus Menschen zu Göttern werden ließ, in Jahrhunderten lebten, in
                denen die Aufklärung noch nicht so viel Licht verbreitet hatte, wo also
                eine solche Erdichtung ganz im Geiste der Zeit lag, da Ungebildeten
                solcher Glaube leicht eingeredet werden konnte. Bekanntlich aber fällt
                die Lebenszeit des Romulus vor nicht volle sechshundert Jahre, wo es
                schon längst eine Literatur und Wissenschaft gab, und jener ganze alte
                Irrwahn, der in der Menschheit zu den Zeiten der Uncultur geherrscht

                hatte, verschwunden war. Denn ist (ein Punkt, den die Griechen in ihren
                Jahrbüchern zum Gegenstande der Untersuchung gemacht haben) Rom
                im zweiten Jahre der siebenten Olympiade erbaut,             219  so fiel des

                Romulus Lebenszeit in die Zeitperiode, da es in Griechenland bereits
                eine Menge von Dichtern und Sängern gab, und man Erdichtungen,
                außer über Gegenstände aus der Vorzeit, nicht mehr viel Glauben
                schenkte. Denn die erste Olympiade fällt nach der gewöhnlichen
                Rechnung hundert und acht Jahre nach der Zeit, in welcher Lykurgus
                seine Gesetze abzufassen begann; welche Zeitrechnungsweise aus

                Namenverwechslung Einige demselben Lykurgus                  220  zuschreiben; den
                Homer aber setzen Die, welche die geringste Zahl annehmen, doch etwa
                dreißig Jahre vor Lykurgs Zeit. Das Resultat dieser Berechnung ist
                (wenigstens) Dieß, daß Homer viele Jahre vor Romulus gelebt hat, so
                daß zu einer Zeit, wo die Menschen schon viele Kenntnisse besaßen, und

                selbst die Zeit (gleichsam) schon gebildet war, eine Erdichtung kaum
                noch Raum gewinnen konnte. Das Alterthum nämlich ließ sich auch
                bisweilen recht plump ersonnene Mährchen aufbinden; jenes Zeitalter
                aber, in dem schon Bildung herrschte, und das besonders alles
                Unmögliche mit Hohn zurückwies, verschmäht sie. * * *


                                        [Lücke von etwa 230 Buchstaben.]



                * * *  221  [gleiches Namens ein anderer Enkel von ihm, den seine Tochter
                gebar; weil Jener in demselben Jahre starb; demnach wurde Simonides in
                der sechs und fünfzigsten Olympiade geboren; woraus um so klarer
                hervorgeht,] daß der Glaube an die Versetzung des Romulus unter die
                Götter zu einer Zeit aufgekommen ist, als die Menschheit nicht mehr in
                ihrer Kindheit lag, sondern schon in der Ausbildung vielseitig

                vorgeschritten war.     222  Aber es lag wahrhaftig in ihm eine so große
                Geisteskraft und eine solche Tüchtigkeit, daß man von Romulus dem




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