Page 429 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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6. Was aber die Stadt selbst für bedeutende in ihrer Lage liegende
                Schutzmittel hat, Dieß nicht zu bemerken, anzuerkennen und davon
                überzeugt zu seyn, würde einen hohen Grad von Unaufmerksamkeit

                verrathen. Schon die Richtung und der Zug der Ringmauer ist durch die
                weise Anordnung des Romulus und der übrigen Könige                  203  von der Art,
                daß sie von allen Seiten über steil abgeschnittene Berge hinläuft, und der
                einzige (freie) Zugang, der zwischen dem Esquilinischen und
                Quirinalischen Hügel wäre, durch einen ungeheuren aufgeworfenen

                Erdwall und einen breiten und tiefen Graben versperrt ist, und daß die
                Burg durch ringsum steile und, so zu sagen, senkrecht abgeschnittene
                Felsen so geschüzt und gesichert da steht, daß sie selbst in jener
                furchtbaren Unglückszeit des Gallischen Einfalls unerobert, ja
                unangetastet geblieben ist. Und dann wählte er zugleich einen Platz, der

                nicht nur Quellen im Ueberfluß hat         204  sondern auch in einer (sonst)
                ungesunden Gegend dennoch der Gesundheit zuträglich ist: denn er
                besteht aus Hügeln, welche einerseits der freien Luft Durchzug gestatten,

                andererseits den Thälern Schatten gewähren.            205
                     7. Das Alles war das Werk einer ganz kurzen Zeit. Erst gründete er
                die Stadt und gab ihr nach seinem Namen den Namen Rom;                   206  dann

                befolgte er zu fester Begründung seines neuen Staats eine
                ungewöhnliche und an das Plumpe gränzende Maßregel, die indessen
                einen Mann von Kraft verräth, der zur Befestigung der Macht seines
                Reiches und seines Volkes einen sichern Blick in die ferne Zukunft that,
                indem er Sabinische Jungfrauen von Stande, die, um Spielen
                beizuwohnen, nach Rom gekommen waren, (da nämlich Romulus eben
                diese jährlichen Spiele im Circus damals das erstemal an den Consualien

                207  angestellt hatte,) bei dieser Gelegenheit rauben ließ, und sie den
                Angesehensten seiner Bürger (der neu gegründeten Stadt) zu Frauen gab.
                208  Als aus dieser Veranlassung die Sabiner gegen die Römer zu Felde

                gezogen waren, und sie in einem lange unentschiedenen und
                gefährlichen Kampfe sich herumschlugen, ging er mit dem
                Sabinerkönige T. Tatius ein Bündniß ein, wobei eben die Frauen, die

                geraubt worden waren, die Vermittlerinnen machten.              209  Diesem
                Bündnisse zu Folge nahm er die Sabiner zu Bürgern seines Staates auf,
                machte die Verehrung der Götter beiden Völkern gemeinschaftlich, und
                theilte seinen Thron mit ihrem Könige.
                     8. Nachdem aber Tatius um's Leben gekommen war, und er den

                Thron wieder allein besaß – wiewohl er nebst dem Tatius zum Beirath
                für beide Könige eine Anzahl Vornehme ausgewählt hatte, die wegen der




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