Page 459 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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abgesehen, sondern sorge nur für Anderer Vortheile. Mit Recht ist
deswegen der höchst geistreiche und scharfsinnige Karneades
aufgetreten, um ihre Sätze umzustoßen, und die Gerechtigkeit, die keinen
festen Grund hatte, über den Haufen zu werfen; nicht, weil er dachte, die
Gerechtigkeit sey etwas Verwerfliches, sondern um darzuthun, daß ihre
Vertheidiger mit ihren Beweisen auf keinem sichern und haltbaren
Boden stehen.]
[Die Gerechtigkeit ist nach aussen gekehrt, hervortretend und
sichtbar wirkend. Nonius.]
[Diese Tugend hat es, unähnlich den übrigen, ganz mit fremdem
Wohle zu thun, und ist nur dabei wirksam. Ebend.]
8. * * * auffand und vertheidigte: der Andere aber verfaßte über die
Gerechtigkeit selbst vier große Bücher. 354 Denn von Chrysippus 355
habe ich nichts Großes und Ausgezeichnetes erwartet, der in seinem
Vortrage seine eigene Manier befolgt, und bei Allem mehr nach dem
Nachdruck der Worte, als dem Gewichte der Gedanken fragt. 356 Jenen
Heroen [dem Plato und Aristoteles] stand es zu, jene Tugend, die, wenn
sie stattfindet, so vorzüglich mild und freigebig ist, und die die
Menschheit mehr, als sich selbst, liebt, die sich mehr für Andere, als für
sich geboren glaubt, aus dem Staube aufzurichten und auf jenem
göttlichen Sitze nicht ferne von der Weisheit ihr ihre Stelle anzuweisen.
Auch hat es ihnen wahrhaftig nicht am Willen gefehlt, (denn was
konnten sie sonst für eine Veranlassung zum Schreiben oder überhaupt
für einen Zweck haben?) und eben so wenig am Talent, woran ihnen ja
Keiner gleichkam. Aber die Sache selbst ging über ihren Willen und ihr
Vermögen hinaus, denn das Recht, worüber wir eine Untersuchung
anstellen, ist ein bürgerliches, kein Recht aus dem Naturstande: wäre
Dieß der Fall, so würde, wie Alle über Das, was warm und kalt, was
bitter und süß sey, einig sind, ebenso Allen dasselbe als gerecht oder
ungerecht erscheinen. 357
9. Nun aber, wenn Einer auf einem von geflügelten Schlangen
gezogenen Wagen, wie er bei Pacuvius vorkommt, 358 fahren, und von
oben herab die vielen und mannigfaltigen Völker und Städte
überschauen und mit seinen Blicken durchmustern könnte, der würde
erstlich in jenem noch am meisten dem Alten treugebliebenen Volke der
Aegypter, das die Geschichte sehr vieler Jahrhunderte und Ereignisse in
Schriften aufbewahrt hat, sehen, daß man einen Stier für einen Gott hält,
den die Aegypter Apis nennen: 359 und noch viele andere Ungeheuer und
Thiere jeder Art in der Reihe der Götter als heilig verehrt. Dann erblickte
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