Page 469 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Vernimm noch Mehreres; denn kurz darauf sagt er: doch bei'm
                Herrschen und bei'm Dienen sind auch die Verschiedenheiten zu

                beachten.    405  Denn wie man sagt, die Seele beherrscht den Körper, so
                sagt man auch, sie beherrsche die sinnliche Begierde; den Körper aber,
                wie ein König die Bürger seines Staates, oder wie ein Vater seine Kinder;
                die Begierden aber [beherrsche sie], wie ein Herr seine Sclaven, weil sie
                sie bändigt und niederdrückt. So stehen Könige, Feldherren, Beamte,
                Väter [der Senat], Völker, gebietend über Bürgern und Bundesgenossen,

                wie die Seele über dem Körper; die Herren aber üben über ihre Sclaven
                eine solche entkräftende Macht aus, wie der beste Theil der Seele, das ist
                die Weisheit, über die dem Fehlen ausgesetzten und schwachen Theile
                eben derselben Seele, nämlich über die Begierden, die Rachgier und die
                übrigen Leidenschaften. Augustin. contra Julian. Pelag. IV. 12.]

                     [Es gibt nämlich eine Art von ungerechter Knechtschaft, wenn
                Diejenigen einem Andern unterworfen sind, die ihre eigenen Herren seyn
                können: wenn aber Diejenigen dienen, die sich nicht selbst zu regieren
                vermögen, so geschieht [ihnen] kein Unrecht. Nonius.]
                     26. [Gesetzt, du wüßtest, sagte Carneades, es sey irgendwo eine
                Schlange unbemerkbar verborgen, und es wolle Einer, ohne Dieß zu
                wissen, sich auf sie hinsetzen, dessen Tod dir Vortheil bringen würde; so
                würdest du Unrecht daran thun, wenn du ihn nicht warntest, er solle sich

                nicht hinsetzen; aber strafen könnte man dich nicht; denn Wer könnte
                dich überführen, daß du es gewußt habest? Doch schon mehr als genug.
                Denn es ist einleuchtend, daß, wenn nicht Billigkeit, Rechtlichkeit,
                Gerechtigkeit ihre Quelle in der Natur haben, und man sie durchaus nur
                aus dem Nutzen [Eigennutz] herleitet, sich gar kein edler Mann auf der

                Welt finden werde. Und über diesen Punkt habe ich in meinem Werke
                über den Staat den Lälius hinlänglich viel sprechen lassen.            406  Cicero de
                Fin. II, 15. 59.]
                     [Wenn ich anders, wie du mich erinnerst, in jenem Werke [vom
                Staat] mit Recht behauptet habe, daß nichts gut sei außer das Edle, und

                nichts ein Uebel, außer das Schändliche. Cicero an den Att. X, 4.]
                     27. [Ich freue mich, daß du mir Recht gibst, die [Liebe] zu den
                Kindern liege in der Natur. Denn ist dem nicht so, so gibt es unmöglich
                ein natürliches Anschließen des Menschen an den Menschen; und ist
                dieses aufgehoben, so hört alles gemeinsame Zusammenleben auf. [Nun
                so wollen wir denn] auf gut Glück [Kinder zeugen]! sagt Carneades:

                unschicklich [genug], doch immer noch besonnener als unser Lucius und
                Patro;  407  denn indem Diese bei Allem nur auf ihr Ich sehen, und






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