Page 490 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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3. [Indem Cicero, den Plato zum Muster nehmend, sein Werk vom
                Staate schrieb, hat er auch die Erzählung nachgebildet, die Plato von

                einem Pamphylier, Namens Er, macht,             471  der, nachdem er schon
                gestorben und auf dem Scheiterhaufen gelegen war, wieder auflebte, und
                viele bisher ganz unbekannte Dinge aus der Unterwelt erzählte; er hat
                aber nicht, wie Plato, eine mährchenhafte Erdichtung angewendet,
                sondern einen geistreich ausgedachten und vernünftiger Weise wohl
                denkbaren Traum ersonnen, und damit auf eine feine Art angedeutet,

                daß, was von der Unsterblichkeit der Seele und vom Himmel gesagt
                werde, nicht bloß Einfälle träumender Philosophen seyen, noch
                Mährchen, die keinen Glauben verdienen, und worüber sich die
                Epicureer lustig machen, sondern Vermuthungsschlüsse einsichtsvoller
                Männer. Er nimmt an, daß (der ältere) Scipio, der durch Ueberwindung

                der Karthager den Beinamen Africanus auf seine Familie gebracht,
                diesem (dem jüngern) Scipio dem Sohne des Paullus, die ihm von seinen
                Verwandten drohenden Nachstellungen und das vom Schicksal über ihn
                verhängte Lebensziel prophezeie, das nach einer untrüglichen und
                nothwendigen Berechnung in einen Zeitraum falle, wo er noch kein
                hohes Alter erreicht habe: und stellt den Satz auf, er werde in seinem
                sechs und fünfzigsten Lebensjahre, wo zwei [verhängnißvolle] Zahlen
                zusammentreffen, seine Seele, die dann ihre Bahn durchlaufen habe, dem

                Himmel zurückgeben, von dem er sie empfangen habe. – Favonius
                Eulogius Comm. ad Somn. Scip. p. 438. Graev..]
                     4. [Einige von uns [Christen], die wegen der trefflichen Sprache, und
                wegen mancher wahren Gedanken den Plato lieben, behaupten, er habe
                eine der unsrigen ähnliche Ansicht von der Auferstehung der Todten

                gehabt. Diesen Punkt berührt Tullius in seinem Werke vom Staate, so,
                daß er erklärt, er habe nicht sowohl etwas Wahres aufstellen, als ein
                Gedankenspiel geben wollen. Denn er nimmt an, es sey ein Verstorbener
                wieder zum Leben gekommen, und habe gewisse Dinge erzählt, wie sie
                eben mit Plato's Ansichten übereinstimmten. Augustin. de Civ. Dei
                XXII, 28.]
                     5. [In diesem Punkte hat besonders die Nachahmung [des Cicero] die

                Aehnlichkeit mit ihrem Original beobachtet, daß, da Plato am Schlusse
                seines Werkes einen Menschen, der schon gestorben schien, und wieder
                aufgelebt war, von dem Zustande der Seelen nach ihrer Trennung vom
                Leibe erzählen läßt, mit Beifügung einer nicht müßigen Beschreibung
                der Sphären oder Gestirne, von dem Scipio, den Tullius auftreten läßt,
                etwas ganz Aehnliches, was ihm als Traumgesicht vorgekommen sey,

                erzählt wird. – Macrobius in Somn. Scip.. I, 1]




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