Page 64 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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großartiger Weise, und verehre weit besser als der Gerechte die Götter
                und unter den Menschen diejenigen, welche er eben will, so daß er aus
                guten Gründen gebührender Weise auch weit mehr ein Gottgeliebter ist,

                als der Gerechte. So, o Sokrates, behaupten die Leute, daß seitens der
                Götter und der Menschen dem Ungerechten ein besseres Loos bereitet
                sei, als dem Gerechten. –
                     6. Als Glaukon dieß gesprochen, hatte ich im Sinne, Etwas hierauf zu
                erwiedern, aber sein Bruder Adeimantos sprach nun: Du wirst doch wohl
                nicht glauben, o Sokrates, daß schon genügend betreffs dieser
                Begründung gesprochen worden sei? – Wie so denn aber nicht?

                erwiederte ich. – Gerade jenes, sagte er, ist noch nicht angegeben
                worden, was doch zumeist hätte angegeben werden sollen. – Nicht wahr
                also, sagte ich, es gilt das Sprüchwort »ein Bruder möge dem Manne zur
                Seite stehen«, und sonach leiste denn auch du Hülfe, woferne Dieser eine
                Lücke gelassen hat; und doch ist ja schon auch das von diesem
                Vorgebrachte genügend, um mich niederzukämpfen und unfähig zu

                machen, der Gerechtigkeit beizustehen. – Und jener sprach: dieß
                bedeutet Nichts, was du da sagst; hingegen höre auch noch Folgendes;
                denn wir müssen auch die entgegengesetzten Begründungen gegen die
                von diesem vorgebrachten durchgehen, nemlich jene, welche die
                Gerechtigkeit loben und die Ungerechtigkeit tadeln, damit hiedurch
                deutlicher werde, was mir Glaukon eigentlich zu wollen scheint. Es
                sagen aber doch wohl die Väter ihren Söhnen und Alle ihren

                Pflegebefohlenen und ermahnen dieselben, daß man gerecht sein müsse,
                indem sie nemlich hiebei nicht die Gerechtigkeit an sich selbst loben,
                sondern den aus ihr erwachsenden guten Ruf, damit dem gerecht zu sein
                Scheinenden aus der öffentlichen Meinung Herrschaft und Ehe und all
                dasjenige erwachse, was Glaukon so eben als Folge des guten Rufes
                aufgezählt hat. Noch weiter aber erstrecken diese das Gebiet der

                Meinung; indem sie nemlich auch den bei den Göttern geltenden guten
                Ruf herbeiziehen, haben sie eine reichliche Menge von Gütern
                aufzuzählen, welche ihrer Behauptung zu Folge den Frommen die Götter
                verleihen, wie ja auch der edle Hesiodos und Homeros sagen, Ersterer
                nemlichTage und Werke, V. 230. Ich verzichte bei Uebersetzung aller
                hier folgenden Dichterstellen absichtlich (s. oben Anm. 7[6]) auf die
                metrische Form. Wie gerne übrigens ein gewisser Autoritätsglaube bei

                den Alten sich an homerische Sprüche anschloß, s. z. B. m. Anm. 37 u.
                50 z. Phädon u. Anm. 15 z. Gastmahl., daß für die Gerechten die Götter
                die Eiche wachsen lassen







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