Page 71 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
P. 71

hast Cap. 1. – An die hierauf folgenden Worte knüpft Plato, nachdem er
                seine Ansicht über die Entstehung und Entwicklung des Staates
                dargelegt hat, unten B. IV, Cap. 6, wieder an, um sodann wirklich den

                Begriff der Gerechtigkeit zu suchen., daß die Gerechtigkeit zu jenen
                größten Gütern gehöre, welche sowohl um ihrer weiteren Folgen willen
                besitzenswerth sind, als auch noch in viel höherem Grade um ihrer selbst
                willen, wie z. B. das Sehen, das Hören, das Nachdenken, das Gesundsein
                und welcherlei andere Güter sonst noch vermöge ihrer eigenen Natur,
                nicht aber bloß dem Scheine nach, zeugungsfähig sind, so lobe also nun
                eben dieses an der Gerechtigkeit, worin sie selbst an und für sich

                demjenigen, der sie hat, nützt und andrerseits die Ungerechtigkeit
                schadet. Lohn aber und öffentliche Meinung zu loben, überlaß Anderen,
                denn von den Uebrigen möchte ich es wohl ertragen, wenn sie auf diese
                Weise die Gerechtigkeit loben und die Ungerechtigkeit tadeln, indem sie
                nemlich die öffentliche Meinung über dieselben und den Lohn
                lobpreisen oder schmähen, von dir aber möchte ich solches nicht wohl

                ertragen, woferne es nicht du selbst mir gebietest, weil du ja dein ganzes
                Leben mit keiner anderen Erwägung, als eben mit dieser durchwandert
                hast. Nicht also weise uns in deiner Begründung bloß nach, daß die
                Gerechtigkeit besser, als die Ungerechtigkeit sei, sondern was eine jede
                der beiden selbst an und für sich in demjenigen, der sie hat, bewirke, und
                hiedurch, mag es vor Göttern und Menschen unbemerkt bleiben oder
                nicht, die eine ein Gut und die andere ein Uebel sei. –

                     10. Und als ich dieß angehört hatte, so war ich, der ich ja schon stets
                die Begabung des Glaukon und des Adeimantos bewundert hatte, nun
                damals erst höchlich erfreut und sprach: Nicht mit Unrecht wahrlich hat
                aus euch, ihr Söhne jenes trefflichen Vaters, der Liebhaber des Glaukon
                wegen eures Ruhmes in der megarensischen Schlacht den ersten Vers
                seiner Elegie gedichtetUnter dem Liebhaber des Glaukon ist sicher

                Kritias zu verstehen. Jener Verwandte Plato’s (ein Neffe der Mutter
                desselben welcher in seinen früheren Jahren in einem sehr nahen
                Umgange mit Sokrates und dessen Freunden stand und in mancherlei,
                sowohl dichterischen als auch prosaischen, Leistungen sein wirklich
                hervorragendes Talent bethätigte, später aber in politischer Beziehung
                nach der Schlacht bei Aegospotami sich ganz an Lysander und die
                spartanischen Interessen anschloß und als einer der dreißig

                Gewaltherrscher Athens wohl der gewandteste, aber auch der verhaßteste
                unter denselben war. – Unter der hier erwähnten megarensischen
                Schlacht dürfte wahrscheinlich jener heftige und grausam geführte
                Kampf zu verstehen sein, in welchem sich i. J. 448 v. Chr. die Athener an





                                                           70
   66   67   68   69   70   71   72   73   74   75   76