Page 73 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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eines einzelnen Mannes, theils aber doch wohl auch Sache eines ganzen
                Staates? – Ja wohl, sagte er. – Nicht wahr also, ein Staat ist etwas
                Größeres, als ein einzelner Mann? – Ja, etwas Größeres, sagte er. –

                Vielleicht demnach dürfte in dem Größeren mehr Gerechtigkeit sich
                finden und dort leichter zu erkennen sein. Wenn ihr also wollt, so laßt
                uns zuerst untersuchen, welcherlei sie in den Staaten sei, und so dann es
                auch bei jedem Einzelnen erwägen, indem wir die Ähnlichkeit des
                Größeren in der Form des Kleineren erwägen. – Du scheinst mir aber,
                sagte er, hiemit Recht zu haben. – Wir würden also wohl, sagte ich, wenn
                wir in unserer Begründung schauten, wie der Staat entsteht, auch die

                Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit desselben entstehen sehenHierin, d. h.
                in dem Verhältnisse eines Mikrokosmus zu einem Makrokosmus,
                zwischen dem Einzelnen und dem Staate, beruht der Grundirrthum,
                welcher sich nun fortan durch die ganze Entwicklung der platonischen
                Staats-Lehre durchzieht; (s. bes. unten Anm. 162) von »Recht« in
                unserem Sinne des Wortes kann bei den Griechen überhaupt nicht

                gesprochen werden).? – Vielleicht wohl, sagte er. – Nicht wahr also,
                wenn jenes, was wir suchen, entstanden ist, werden wir hoffen dürfen, es
                leichter einzusehen? – Ja, bei Weitem. – Scheint es also so sein zu
                müssen, daß wir versuchen, an’s Ende zu kommen? ich glaube nemlich,
                daß es keine kleine Arbeit sein werde. Erwägt dieß also. – Wir haben es
                schon erwogen, sagte Adeimantos; thue es nicht anders. –
                     11. Entsteht demnach, sagte ich, ein Staat, wie ich glaube, darum,

                weil jeder Einzelne von uns nicht für sich allein sich schon genügt,
                sondern Vieler bedarf; oder von welch anderem Anfange glaubst du, daß
                er die Bevölkerung eines Staates zusammenführe? – Von keinem
                anderen, sagte er. – Indem also so der Eine von uns den Anderen bald zu
                diesem, bald zu jenem Bedürfnisse zu Hülfe nimmt, und wir, weil wir
                Vieles bedürfen, viele Teilnehmer und Helfer zu Einer Bewohnerschaft

                versammeln, so geben wir diesem Zusammenwohnen den Namen
                »Staat«; oder was sonst? – Ja wohl, völlig. – Es theilt demnach der Eine
                dem Anderen mit, woferne er eben mittheilt, oder er empfängt seinen
                Antheil, weil er glaubt, es werde so für ihn besser sein. – Ja, allerdings. –
                Wohlan denn nun, sagte ich, so wollen wir nun in unserer begründenden
                Rede den Staat von Anfang an entstehen lassen; es läßt ihn aber, wie es
                scheint, unser Bedürfniß entstehen. – Wie aber sollte es nicht so sein? –

                Nun aber ist ja das erste und größte unserer Bedürfnisse die Herstellung
                der Nahrung um des Daseins und Lebens willen. – Ja, durchaus. – Ein
                zweites aber das einer Wohnung, ein drittes aber das einer Kleidung und
                der derartigen Dinge. – Ja, so ist es. – Wohlan denn nun, sagte ich, wie





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