Page 83 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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erzählend und die Erörterung uns angelegen sein lassend, wollen wir
                jene Männer nun heranbilden. – Aber es muß auch sein. –
                     17. Welches also ist die Heranbildung derselben? oder ist es

                schwierig, eine bessere zu finden, als jene, welche schon durch die
                Länge der Zeit gefunden wurde? diese aber ist doch wohl einerseits für
                den Körper die gymnische, andrerseits für die Seele die musische? – Ja,
                diese ist es. – Werden wir also nicht zuerst beginnen, sie musisch
                heranzubilden, und dann erst gymnisch? – Warum nicht? – Wenn du aber
                von der musischen sprichst, so rechnest du darunter die mündlichen
                Aussprüche; oder nicht? – Ja, ich wenigstens gewiß. – Der mündlichen

                Aussprüche aber gibt es eine doppelte Art, einerseits wahre und
                andrerseits unwahre? – Ja. – Bilden aber soll man jene in beiden, und
                zuerst in den unwahren? – Ich verstehe nicht, sagte er, wie du dieß
                meinst. – Du verstehst nicht, erwiederte ich, daß wir den Kindern zuerst
                Fabeln erzählen? diese aber sind doch wohl, um es im Ganzen zu sagen,
                etwas Unwahres, darin enthalten aber ist auch Wahres; zuerst aber

                wenden wir ja bei den Kindern Fabeln an, und dann erst Leibesübungen.
                – Ja, so ist es. – Dieß demnach meinte ich damit, daß die musische
                Bildung früher als die gymnische zu ergreifen sei. – Du hast hierin
                Recht, sagte er. – Nicht wahr also, du weißt, daß der Anfang eines jeden
                Dinges das Größte ist, zumal bei Allem, was jung und zart ist? denn
                zumeist ja in jener Zeit wird das Gepräge sich bilden und eindringen,
                welches man einem Jeden aufdrücken will. – Ja wohl, gar sehr. – Sollen

                wir nun so leichthin es zulassen, daß die Kinder alle beliebigen von
                jedem Beliebigen gedichteten Fabeln hören und in ihren Seelen
                meistenteils entgegengesetzte Meinungen erfassen gegen jene, welche
                sie unserer Ansicht nach haben sollen, wenn sie erwachsen sind? – Nein,
                in keinerlei Weise werden wir dieß zulassen. – Erstens demnach müssen
                wir, wie es scheint, die Fabeldichter beaufsichtigen, und jede Fabel,

                welche sie gut dichten, auswählen, jene hingegen, welche nicht gut,
                ausscheiden; die von uns ausgewählten aber den Kindern vorzusagen,
                werden wir die Ammen und Mütter überreden, sowie daß sie die Seelen
                derselben weit mehr durch Fabeln bilden, als den Körper vermittelst der
                Hände; von jenen Fabeln aber, welche die Leute ihnen jetzt vorsagen,
                müssen wir die meisten verbannen. – Welche denn? sagte er. – In den
                größeren Fabeln, erwiederte ich, werden wir auch die kleineren

                erblicken; denn es sollen doch wohl das nemliche Gepräge und die
                nemliche Kraft sowohl die größeren als auch die kleineren haben; oder
                glaubst du nicht? – Dieß gewiß, sagte er; aber ich verstehe auch noch
                nicht, welche du unter den größeren meinest. – Diejenigen, sprach ich,





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