Page 84 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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welche Hesiodos und Homeros und die übrigen Dichter uns erzählten;
denn diese doch wohl sind es, welche unwahre Fabeln zusammenstellten
und erzählten und noch erzählen. – Ja welche denn? sagte er, und was
tadelst du denn hiemit an ihnen? – Was man, erwiederte ich, zuerst und
zumeist tadeln muß, zumal wenn Jemand in unrichtiger Weise Unwahres
sagt. – Was soll dieses sein? – Wenn Jemand in seiner Rede schlechte
Gleichnisse betreffs dessen gebraucht, wie beschaffen die Götter und die
Heroen seien, gerade wie ein Maler, welcher Dinge malt, die demjenigen
gar nicht gleichen, was er in einer Verähnlichung malen wollte. – Es ist
ja auch völlig richtig, sagte er, Derartiges zu tadeln; aber in welchem
Sinne denn und von welchen Dingen meinen wir dieß hier? – Erstens,
erwiederte ich, die größte Unwahrheit und betreffs des Größten hat der
sie Aussprechende in unrichtiger Weise gesagt, daß nemlich sowohl
Uranos vollführt habe, was von ihm HesiodosTheogonie, V. 154–200.
sagt, daß er gethan habe, als auch hinwiederum die Art und Weise, in
welcher Kronos sich an ihm rächte; die Thaten aber eben des Kronos und
was er wieder durch seinen Sohn erlitt, sollten nach meiner Meinung
selbst dann nicht, wenn sie wahr wären, so leichthin von Unverständigen
und jungen Leuten gesagt, sondern zumeist verschwiegen werden; falls
aber eine Nothwendigkeit bestünde sie zu sagen, so sollten solches nur
als Geheimniß so Wenige als nur möglich hören, nachdem sie ein Opfer,
und zwar nicht etwa bloß ein Ferkel, sondern irgend ein großes und
schwer herbeizuschaffendes Opfer dargebracht haben, damit eben so
Wenigen als möglich es gelinge, solches zu hörenOb wohl das Seelenheil
jener wenigen auserwählten Reichen, welche nach Erlegung eines sehr
hohen Eintrittsgeldes zuhören dürfen, weniger gefährdet ist? –
Ueberhaupt muß bezüglich des Inhaltes dieses ganzen Cap. bemerkt
werden, daß es hiebei an dem Verständnisse dessen, was Poesie und was
Religion sei, eben von vornherein fehlt; ähnliche Aeußerungen über
Homer und Hesiod, wie sie hier Plato ausspricht, wurden schon von den
Eleaten gemacht (s. m. Uebers. d. gr. Phil. S. 23). Wer von einem Volks-
Evangelium, wie die homerische Poesie ist, verlangt, daß sie ein
rationalistisch nüchterner und abstrakter Theismus sein solle, zeigt eben
nur, daß er überhaupt nicht weiß, was Region ist (vgl. aber unten Anm.
60). Daß Plato aber hauptsächlich das Motiv der Sittlichkeit einspannen
würde, um über Homer und Hesiod ein Verdammungsurtheil zu fällen,
ließ sich freilich erwarten; denn um den Unterschied zwischen Religion
und Sittlichkeit sowie deren Wechselbeziehung zu erfassen und
durchzuführen, ist allerdings ein tieferer und namentlich zugleich
kenntnißreicherer Standpunkt erforderlich, als ihn je die Griechen
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