Page 85 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
P. 85

einnehmen konnten. Hat ja doch auch die Entwicklung unserer modernen
                Philosophie gerade in jener Gestaltung, in welcher sie heutzutage noch
                am meisten die herrschende ist, stets gezeigt, daß sie über die

                Verwechslung oder irrthümliche Identificirung jener beiden Begriffe
                bisher noch nicht hinausgekommen ist (wofür natürlich unsere modernen
                Neuplatoniker von Allen den schlagendsten Beleg geben). Ueber die
                platonische Auffassung der Kunst überhaupt s. unten Anm. 327.. – Es
                sind ja auch wirklich, sagte er, wenigstens diese Erzählungen gefährlich.
                – Und nicht ja, o Adeimantos, sagte ich, darf man sie in unserem Staate
                vorbringen; und nicht darf man zu einem jungen Menschen, so daß er es

                hören könnte, sagen, daß er bei Verübung des äußersten Unrechtes oder
                wenn er etwa einen ihm Unrecht thuenden Vater auf jede Weise
                züchtigte, durchaus nichts Auffallendes verübe, sondern eben nur das
                Nemliche thue, wie auch die obersten und größten Götter. – Wahrlich,
                bei Gott, sagte er, auch mir selbst scheint solches nicht passend zu sein,
                um es zu sagen. – Und überhaupt ja, sagte ich, auch nicht, daß Götter mit

                Göttern Krieg führen und einander nachstellen und mit einander
                kämpfen (denn solches ist nicht einmal wahr), woferne ja bei uns die
                künftigen Wächter des Staates es für das Schimpflichste halten sollen,
                gegenseitig leicht sich zu verfeinden. Weit gefehlt also, daß man ihnen
                die Kämpfe gegen die Giganten und viele und mancherlei andere
                Feindschaften der Götter und der Heroen gegen ihre Verwandten und
                Angehörigen in den Fabeln erzählen und ausschmücken soll, sondern

                woferne wir irgend sie überzeugen wollen, daß noch kein Bürger jemals
                mit einem anderen Bürger sich verfeindete, und dieß auch nicht erlaubt
                ist, so müssen weit eher eben Derartiges von vorneherein zu den Kindern
                die Greise und die alten Frauen und überhaupt die Aelteren sagen, und
                die Dichter muß man nöthigen, sich in ihrer Sagendichtung nahe an
                Solches zu halten. Dinge aber wie die Fesselung der Hera durch ihren

                SohnIlias, XV, V. 18 (nemlich Hephästos schmiedet die Fesseln, Zeus
                selbst hingegen legt sie der Hera an). und wie das Herabschleudern des
                Hephästos durch seinen Vater, weil ersterer seiner Mutter, welche
                Schläge bekömmt, beistehen willEbend. I, V. 588., und all jene
                Götterschlachten, welche Homeros gedichtet hat, darf man in unseren
                Staat nicht aufnehmen, weder wenn sie mit einem tiefer liegenden Sinne
                gedichtet sind, noch wenn ohne einen solchenHiemit ist auf die

                sogenannte allegorische Erklärung der Mythen hingewiesen, welche
                bereits zur Zeit der Sophisten zuweilen angewendet, von den Stoikern
                aber oft in den albernsten Deuteleien durchgeführt wurde; ein
                Hauptzweig dieser Behandlungsweise der homerischen Mythologie war





                                                           84
   80   81   82   83   84   85   86   87   88   89   90