Page 100 - Stiftung Warentest - Warenkunde Brot - Gutem Brot auf der Spur
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Chemie im Brot



          Schon immer war der Bäcker eine Art Alchimist, der Mehl und Wasser mithilfe
          unsichtbarer Wesen zu etwas Köstlichem verwandelte. Doch erst seit gut 100
          Jahren bäckt er mit Stoffen, die wir landläufig als „Chemie im Brot“ bezeichnen.

          Der Bäcker selbst spricht von „ Backhilfsmitteln“.


          Boden, Klima, Witterung, Erntezeitpunkt, Getreidesorte und viele Faktoren mehr
          beeinflussen die Eigenschaften des Mehles. Und damit hört es nicht auf. Welche
          Mahltechnik verwendet der Müller? Wie lang reift das Mehl nach? Welchen Aufwand

          betreibt der Bäcker, um daraus ein Brot zu backen? Und welche Vorstellung von guter
          Qualität hat der Kunde des Bäckers? All dies sind Unwägbarkeiten, die schon Ende des
          19. Jahrhunderts dazu geführt haben, sich Gedanken über Zutaten zu machen, die
          schwankende Rohstoffeigenschaften abfedern und dem Bäcker die Arbeit erleichtern
          können. Aber erst als es um die Rationalisierung des Bäckerwesens ging, kam die

          Vielzahl an Backmitteln und Zusatzstoffen auf den Markt, die heute kaum ein
          Verbraucher mehr durchschaut.



          Mit der Hefe fing es an


          Aus den Niederlanden schwappte im 19. Jahrhundert das Verfahren zur Hefeherstellung
          nach Deutschland und damit die Möglichkeit, mehr Hefe als bislang üblich zu
          verbacken. Mit der Erfindung des Presshefeverfahrens um 1850 waren die Bäcker dank

          der nun äußerst triebstarken Hefe nicht mehr auf die Arbeit mit Vorteigen angewiesen,
          sondern konnten ihre Teige in direkter Führung schnell zu Brot und Brötchen
          verarbeiten. Da aber die Mehle relativ enzymschwach waren, fehlte es den Hefen unter

          anderem an vergärbaren Zuckern. Um 1900 kam deshalb das erste weltweit eingesetzte
          Backmittel auf den Markt: Diamalt, ein Extrakt aus gemälztem Getreide, in dem vor
          allem natürliche Amylasen enthalten waren. Die Enzyme sind in der Lage, aus Stärke
          Zucker zu spalten.



          Die Welt nach Diamalt


          Dieses äußerst erfolgreiche Backmittel war Auslöser für die Herstellung weiterer

          Produkte auf Malzbasis, denen auch zusätzliche Stoffe als Hefenahrung und zur
          Kleberstärkung zugesetzt wurden. Nicht alles war aus heutiger lebensmittelrechtlicher
          Sicht in Ordnung, etwa die Verwendung von Bromaten (krebserregende
          Bromverbindungen) zur Mehlverbesserung. Nach deren Verbot dient bis heute die
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