Page 195 - Brot backen - wie es nur noch wenige können
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Die Alternative, die elterliche Mühle zu übernehmen, bestand nicht mehr. 1964 war es zu Ende mit
  der etwa 200-jährigen Familientradition, der letzte Bauer in Feistenau gab auf, Jakobs Vater stellte
  den Betrieb der Karlmühle am Brunnbach ein. Generationen von Bauern aus der Umgebung hatten
  dort ihr Getreide abgeliefert, als Mahllohn durfte der Müller 10 Prozent behalten. Das Brot, das er

  herstellte, diente dem Eigenbedarf, der Überschuss wurde verkauft. In seiner Kindheit, sagt Itzlinger,
  haben  die  Bauern  noch  überwiegend  selbst  gebacken.  Abnehmer  für  das  Brot  des  Müllers  waren
  Lebensmittelläden.  Daran,  wie  der  Vater  den  Wagen  belud  und  mit  seiner  Ware  von  Geschäft  zu
  Geschäft  fuhr,  kann  er  sich  noch  erinnern.  Ebenso  wie  an  den  Geschmack  des  frisch  gebackenen
  Brotes, das er als Bub zum Frühstück bekam – mit Butter und Marmelade.
     Nach  der  Ausbildung  zog  es  den  Bäckermeister  Ende  der  1970er-Jahre  wieder  nach  Hause.  Er
  arbeitete in einer Bäckerei und begann in der Freizeit mit Roggenvollkornbrot zu „experimentieren“,
  wie er sagt. Damit schlug er einen Weg ein, der damals noch kein Trampelpfad und noch nicht mit
  „Bio“  beschildert  war.  Zurück  zur  Kraft  und  Vollwertigkeit  des  ganzen  Korns,  zurück  zum
  Roggenbrot – Itzlinger gilt als Pionier der Biobewegung. Anfangs buk er nur kleine Brötchen: Es gab
  nur eine Sorte, ein Roggenbrot, von dem er pro Woche 10 Kilogramm herstellte, die Käufer waren
  Freunde und Nachbarn.
     Zum Experiment gehörte auch, dass er sich mit dem Getreide beschäftigte und zu denen ging, die
  es anbauten. „Am Anfang waren wir zwei Idioten. Der Bauer hat nicht gewusst, was Backqualität ist,
  und ich hab nicht gewusst, was gute Getreidequalität ist.“ Heute bezieht er sein Getreide von Bauern,
  die  er  kennt  und  auf  die  er  sich  verlassen  kann.  Und  er  besitzt  ein  umfassendes  Wissen,  was  die

  Qualität des Getreides betrifft. Wenn er erzählt, wie er mit den Bauern zusammenarbeitet, entsteht ein
  Bild, das man der Genremalerei des 19. Jahrhunderts zuordnen möchte: Zwei Männer schreiten durch
  ein reifes Kornfeld, blicken zum Himmel, der sich dunkel färbt, prüfen den Boden, fühlen die Ähren.
  „Mich interessiert, wie’s Körndl ausgebildet ist. Dann weiß ich, womit ich rechnen muss. Wenn das
  Getreide  zum  Beispiel  am  Waldrand  steht,  hat  es  weniger  Sonnentage  und  damit  weniger
  Kleberausbildung.  Der  Mineralgehalt  des  Bodens  ist  wichtig.  Je  nach  Höhenlage  variiert  die
  Feuchtigkeit. Getreide, das auf 700 Meter wächst, ist anders als Getreide, das auf 400 Metern steht.
  Wenn’s trocken war, weiß ich, der Mehlkörper ist geringer. Heute ist es ja so: Der Bauer macht die
  Prognose und die genaue Analyse des Korns kommt aus dem Labor. Der Bäcker muss dann reagieren
  und  den  Sauerteig  je  nach  Getreidequalität  anders  ansetzen.  Die  lange  Teigführung  erlaubt
  einzugreifen, aber das muss man natürlich können.“
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