Page 55 - Brot backen - wie es nur noch wenige können
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Striezel gehören zu den Brauchtumsbroten, die unter anderem auch zu Allerheiligen gebacken wurden.

  Wo noch alte Brotbräuche in der Gemeinschaft und Öffentlichkeit ausgeübt werden wie zum Beispiel
  beim Striezelwerfen in Stein im Kärntner Jauntal, ziehen sie zwar viele Menschen an, aber die treibt
  nicht Bedürftigkeit oder Wunderglaube. Das Striezelwerfen geht auf die Heilige Hildegard von Stein
  zurück. Sie starb 985 und hatte verfügt, dass alljährlich an ihrem Todestag, dem 5. Februar, Brot an
  die Armen verteilt werden sollte. Allein schon die Tatsache, dass der Brauch am ersten Sonntag im

  Februar und nicht am Todestag der Heiligen stattfindet, zeigt, dass er aufgeweicht ist. Diejenigen, die
  sich  heute  um  die  Brote  balgen,  sind  nicht  Arme,  die  gespeist  werden  müssen,  Glaube  und
  Aberglaube, die dem Brauch seine Sinnhaftigkeit geben, fehlen. Was früher von Volksfrömmigkeit
  getragen war, wird heute zum „Event“.
     Das  gilt  auch  für  einen  Brauch,  der  2007  in  München  reanimiert  wurde  und  seine  Wurzeln  im
  Mittelalter hat: Im Juli 1318 stiftete das Ehepaar Wadler 63 Pfund Pfennige für die Armenspeisung,
  drei  Pfund  sollten  für  eine  jährliche  „Breznspende“  Verwendung  finden.  Anders  als  heute  waren
  Brezn damals etwas Besonderes, eine Fasten- und Festtagsspeise aus Weizenmehl. Kein Wunder, dass
  die Münchner den Mann freudig erwarteten, der am 27. Dezember nachts auf seinem Schimmel durch
  die  Stadt  zog,  bereits  einige  Brezn  verteilte  und  verkündete,  dass  weitere  am  nächsten  Tag  im
  Heiliggeistspital abgeholt werden konnten. Der Termin wurde später verlegt, die „Wadlerspende“ gab
  es bis 1801. Da hatte der Reiter wohl zu wenige Brezn dabei, die darüber Erzürnten zogen ihn vom
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