Page 150 - Haftung für Gefahrguttransporte in Europa : zur außervertraglichen Haftung für Gefahrguttransporte zu Lande, zu Wasser und mit Luftfahrzeugen by
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126                                   2 Teil: Internationale Haftungsregelungen

                        Pariser Übereinkommen, indem es eine einheitliche Heraufsetzung der Haftungs-
                        und Deckungssummen unter Einsatz öffentlicher Mittel der  Teilnehmerstaaten
                        vorsieht. Bis auf wenige Ausnahmen (Griechenland, Portugal, Türkei) haben alle
                        Vertragsstaaten des Pariser Übereinkommens das Brüsseler Zusatzübereinkom-
                        men ratifiziert. 5  Die beiden Übereinkommen  bilden somit  ein zusammenhän-
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                        gendes System, das die atomrechtliche Haftung in den OECD-Staaten regelt und
                        vereinheitlicht.
                           Das wenig später von der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO)
                        erarbeitete „Wiener Übereinkommen über die zivilrechtliche Haftung für nukleare
                        Schäden“ vom 21. Mai 1963 folgt in seinen Grundsätzen dem Pariser Überein-
                        kommen und ist inhaltlich nahezu identisch. Es legt allerdings im Gegensatz zu
                        diesem nur einen haftungsrechtlichen Mindeststandard fest, steht dafür aber nicht
                        nur den OECD-Staaten, sondern  auch  den östlichen Industriestaaten und Ent-
                                                                                 537
                        wicklungsländern offen und hat dadurch weltweite Geltung erlangt. 5
                           Allerdings sind die westeuropäischen Industrieländer  dem Wiener  Überein-
                        kommen bisher nicht beigetreten und werden dies auch in Zukunft aller Wahr-
                        scheinlichkeit nach nicht tun, da sie bereits dem detaillierteren Paris-Brüsseler
                        Haftungssystem angehören und somit nach wie vor kein Interesse an einem Bei-
                        tritt zum Wiener Übereinkommen haben. 5
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                           Nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl am 26. April 1986 wurde deut-
                        lich, dass zwei getrennt bestehende  Haftungsregime, das Paris-Brüsseler Haf-
                        tungssystem  einerseits und das Wiener Übereinkommen andererseits, große
                        Nachteile bringen. 5  Denn Schadensersatzansprüche konnten nur in den Staaten
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                        geltend gemacht werden, die demselben Übereinkommen angehörten.
                           Dieser Missstand führte schließlich zur Annahme des auf der Diplomatischen
                        Konferenz in Wien erarbeiteten „Gemeinsamen Protokolls über die Anwendung
                        des Wiener Übereinkommens und des Pariser Übereinkommens“ am
                        21. September 1988. 5  Dieses sollte vor allem den zentral- und osteuropäischen
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                        Staaten, die bisher noch keinem Übereinkommen angehörten, einen Anreiz bieten,
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                        dem Wiener Übereinkommen beizutreten. 5  Das Gemeinsame Protokoll ist am
                        27. April 1992 in Kraft getreten und derzeit für 25 Vertragsstaaten in Kraft. 5  Die
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                        536  Das Brüsseler Zusatzübereinkommen ist somit für 12 Vertragsstaaten in Kraft. Zum aktuellen
                           Ratifizierungsstand: http://www.nea.fr/html/law/brussels-convention-ratification.html
                           (Stand: 08.08.2010).
                        537  Vgl. Gehring/Jachtenfuchs, Haftung und Umwelt, S. 61. Es ist derzeit für 35 Vertragsstaaten in
                           Kraft. http://www.iaea.org/Publications/Documents/Conventions/liability_status.pdf
                           (Stand: 08.08.2010).
                        538  Vgl. dazu bereits früher Gehring/Jachtenfuchs, Haftung und Umwelt, S. 71.
                        539  Erläuternd Gehring/Jachtenfuchs, Haftung und Umwelt, S. 71.
                        540  BGBl.2001 II, S. 203 ff.
                        541  Hinteregger/Kissich, AtomHG 1999, S. 9 Rn. 8.
                        542  http://www.iaea.org/Publications/Documents/Conventions/jointprot_status.pdf
                           (Stand: 08.08.2010). Die Liste ist auf dem Stand vom 26.03.2007.
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