Page 161 - Haftung für Gefahrguttransporte in Europa : zur außervertraglichen Haftung für Gefahrguttransporte zu Lande, zu Wasser und mit Luftfahrzeugen by
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2 Teil: Internationale Haftungsregelungen 137
Art. 4 PÜ regelt den Fall der Beförderung von Kernmaterialien einschließlich
der damit in Zusammenhang stehenden Lagerung und geht von dem Grundsatz
aus, dass auch während eines Kernmaterialtransports stets ein Anlageninhaber für
nukleare Schäden haften soll, trifft allerdings in lit. a) und b) einige Sonderbe-
stimmungen. Eine einzige Ausnahme dieses Grundsatzes enthält Art. 4 lit. d) PÜ.
a) Person des Haftenden
Danach haftet für Transporte innerhalb des räumlichen Geltungsbereichs der
Inhaber der Anlagen, aus der die Kernmaterialien stammen, bis zu dem Zeitpunkt,
in dem der Inhaber einer anderen Kernanlage, für den die Kernmaterialien be-
stimmt sind, die Haftung ausdrücklich durch einen schriftlichen Vertrag über-
nommen hat oder – mangels eines solchen Vertrags – die Kernmaterialien tatsäch-
lich übernommen hat, Art. 4 lit. a) i) und ii) PÜ.
Umgekehrt haftet der Anlageninhaber, für den die Kernmaterialien bestimmt
sind, ab dem Zeitpunkt, ab dem er die Haftung ausdrücklich durch einen schriftli-
chen Vertrags übernommen oder – mangels eines solchen Vertrags – die Kernma-
terialien tatsächlich übernommen hat, Art. 4 lit. b) i) und ii) PÜ. Die Übernahme
ist erfolgt, wenn der tatsächliche Vorgang des in die Obhutnehmens, also in erster
Linie der Übergang des unmittelbaren Besitzes abgeschlossen ist. 5 Die Beweis-
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last für die erfolgte bzw. noch nicht erfolgte Übernahme trifft im Verhältnis zum
Geschädigten den versendenden bzw. empfangenden Anlageninhaber. 6
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Das Protokoll von 2004 sieht die Einfügung eines neuen lit. c) in Art. 4 PÜ
vor, der bestimmt, dass die Übertragung der Haftung auf den Inhaber einer ande-
ren Anlage nach Art. 4 lit. a) i) und ii) und lit. b) i) und ii) nur dann möglich ist,
wenn dieser ein unmittelbares, wirtschaftliches Interesse an den beförderten
Kernmaterialien hat. Ein solches Interesse wird in den meisten Fällen gegeben
sein. Für Zweifelsfälle gibt das Protokoll allerdings keine weiteren Anhaltspunkte,
so dass die Auslegung den zuständigen Gerichten überlassen bleibt.
Gesondert in Art. 4 lit. a) iii) und lit. b) iii) PÜ aufgeführt ist die Beförderung
von Kernmaterialien an einen bzw. von einem Inhaber eines Reaktors, der Teil
eines Beförderungsmittels ist (z.B. Reaktorschiffe), da solch ein Reaktor keine
Kernanlage i.S.d. Pariser Übereinkommens ist 6 . Danach haftet der Anlageninha-
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ber der versendenden Kernanlage bis zu dem Zeitpunkt, in dem der zum Betrieb
des Reaktors ordnungsgemäß Befugte die Kernmaterialien tatsächlich übernom-
men hat. Der Anlageninhaber, für den die Kernmaterialien bestimmt sind, haftet
umgekehrt ab dem Zeitpunkt, in dem er die Kernmaterialien tatsächlich vom In-
haber des Reaktors übernommen hat.
600 Haedrich, Atomgesetz mit Pariser Übereinkommen, Art. 4, Rn. 5.
601 Haedrich, Atomgesetz mit Pariser Übereinkommen, Art. 4, Rn. 5; vgl. auch Exposé des Motifs,
Rn. 24.
602 Art. 1 lit. a) ii) PÜ definiert den Begriff der „Kernanlage“.