Page 163 - Haftung für Gefahrguttransporte in Europa : zur außervertraglichen Haftung für Gefahrguttransporte zu Lande, zu Wasser und mit Luftfahrzeugen by
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2 Teil: Internationale Haftungsregelungen 139
Das Pariser Übereinkommen von 1960 führte erstmals das Prinzip der rechtlichen
Haftungskanalisierung ein. Die ausschließliche Beschränkung der Haftung auf nur
eine Person, nämlich den Inhaber der Kernanlage, ist insbesondere in Deutsch-
land auf Kritik gestoßen und ausführlich diskutiert worden, 6 da das deutsche
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Recht bis dahin nur die so genannte „wirtschaftliche Kanalisierung“ kannte. 6
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Nach dem Exposé des Motifs zum Pariser Übereinkommen hat man sich aus
folgenden Gründen für die rechtliche Kanalisierung entschieden: 6 Sie erleichtert
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die Rechtsverfolgung des Geschädigten und dient damit der Vereinfachung des
Verfahrens und auch der Rechtsklarheit. Zudem bewirkt die rechtliche Kanalisie-
rung die Bündelung von Versicherungskapazitäten und dient so der Kostener-
sparnis. Denn ohne die Kanalisierung müssten sich auch alle Hersteller, Zulieferer
etc. gegen das hohe nukleare Risiko versichern und es käme zur so genannten
„Pyramidisierung der Versicherungen“. 6
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Das Prinzip der Haftungskanalisierung ist in Art. 6 lit. a), b) und c) ii) PÜ nie-
dergelegt. Danach kann für einen durch ein nukleares Ereignis verursachten Scha-
den nur der Anlageninhaber, der nach den Vorschriften dieses Übereinkommens
haftet, in Anspruch genommen werden und sonst niemand. Die Haftung anderer
Personen, wie z.B. Hersteller, Zulieferer, Transportunternehmer, Sachverständige
etc., ist also grundsätzlich ausgeschlossen. 6 Dies gilt selbst dann, wenn diese
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schuldhaft handeln. 6 Überdies haftet der Anlageninhaber ausschließlich nach
den Vorschriften des Übereinkommens, so dass mögliche Haftpflichtansprüche
aufgrund anderer Rechtsgrundlagen, wie z.B. nationales Delikts- oder Umwelthaf-
tungsrecht, ausgeschlossen sind.
Das Prinzip der Haftungskanalisierung wird überdies dadurch verstärkt, dass
es auch während des Transports von Kernmaterialien gilt. 6 Selbst dann, wenn
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607 Zur Diskussion Pelzer, VersR 1966, 1010 ff.; Fischerhof, VersR 1966, 601 ff.; Karr, VersR 1966,
1 (3 ff.); Weitnauer, DB 1961, 666 ff.; Kanno, Gefährdungshaftung und rechtliche Kanalisierung
im Atomrecht, S. 9 ff.; Pelzer, Die internationalen Atomhaftungsübereinkommen und das deut-
sche Recht, in: Erstes Deutsches Atomrechts-Symposium vom 7.-8. Dezember 1972, S. 183 (186
ff.).
608 Bei der wirtschaftlichen Kanalisierung bleibt die Haftung der Personen, die neben dem Anlagen-
inhaber als Schadensverursacher in Betracht kommen, bestehen. Der Anlageninhaber ist aber
zum Abschluss einer Versicherung verpflichtet, die auch diese Personen mit einbezieht. Kanno,
Gefährdungshaftung und rechtliche Kanalisierung im Atomrecht, S. 10 f.; Weitnauer, Das
Atomhaftungsrecht in nationaler und internationaler Sicht, S. 147.
609 Exposé des Motifs, Rn. 15; vgl auch Pelzer, in: Handbuch zum europäischen und deutschen
Umweltrecht 2003, § 59 Rn. 10.
610 Pelzer, in: Handbuch zum europäischen und deutschen Umweltrecht 2003, § 59 Rn. 10.
611 Winters, Atom- und Strahlenschutzrecht, S. 50; Zur Haftung von Sachverständigenorganisatio-
nen, die Gutachten über die Sicherheit von Kernkraftwerken erstellen, Pelzer, atw 1995, 266
(267).
612 Kissich, S. 66.
613 Pelzer, in: Handbuch zum europäischen und deutschen Umweltrecht 2003, § 59 Rn. 11; Pelzer,
Liablility for international nuclear transport: an overview, in: Seminar on Nuclear Law and Liabi-