Page 280 - Haftung für Gefahrguttransporte in Europa : zur außervertraglichen Haftung für Gefahrguttransporte zu Lande, zu Wasser und mit Luftfahrzeugen by
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256 3.Teil: Nationale Haftungsregelungen
cke gelagert wurde, angewendet worden. Ebenso fand die rule bei Schäden An-
wendung, die durch die Explosion von Dinitrophenol in einer Sprengstofffab-
1258 1259 und durch Verunreinigung
rik 1 , durch Sprengungen in einem Steinbruch 1
1260 entstanden. Trotz wieder-
eines undichten mit Dieselöl gefüllten Kesselwagens 1
holter Anwendung der rule aus Rylands v. Fletcher ist diese jedoch nie zu einem all-
gemeinen Gefährdungshaftungsprinzip ausgebaut worden, sondern wird seit jeher
1261
restriktiv angewendet. 1
Eine Haftung aus Rylands v. Fletcher besteht nur unter folgenden Voraussetzun-
1262 Der Beklagte muss eine schadensstiftende Sache auf ein unter seiner Herr-
gen: 1
schaft stehendes Grundstück verbringen, welche als eine „nicht-natürliche Nut-
zung“ („non-natural use“) des Grundstücks anzusehen ist. Diese schadensstiftende
Sache muss von dem Grundstück des Beklagten entweichen (escape) und außerhalb
des Grundstücks einen Schaden anrichten. Zudem muss der Beklagte seit der
Entscheidung in der Sache Cambridge Water Company v. Eastern Counties Leather
1263 vorhergesehen haben oder vernünftigerweise vorhersehen können, dass die
Plc 1
auf seinem Grundstück befindlichen Sachen im Falle ihres Entweichens Schäden
1264
verursachen können, wie sie der Kläger dann tatsächlich auch erlitten hat. 1
In Bezug auf Schäden durch Gefahrguttransporte fehlt es schon an der Vor-
aussetzung des Grundstücks, denn die schadensstiftenden Sachen befinden sich
während des Transports gefährlicher Güter in der Regel auf öffentlichem Gelände
und nicht auf privaten Grundstücken. In allen Fällen, bei denen die Regel aus
Rylands v. Flechter zur Anwendung kam, sind die schadensstiftenden Sachen jedoch
von einem Grundstück aus entwichen. Auch in dem Fall, in dem die Bahngesell-
schaft neben der Ölgesellschaft wegen der Verschmutzung eines Baches durch aus
einem Kesselwagen auslaufendes Dieselöl während der Beförderung nach der rule
belangt wurde, war das Dieselöl vom Gelände der Bahn aus in den Bach gelau-
1265
fen. 1
Die Regel aus Rylands v. Fletcher ist somit nicht auf Gefahrguttransporte an-
1266 Allein bei der kurzen Zwischenlagerung von gefährlichen Gütern ist
wendbar. 1
1258 Rainham Chemical Works, Ltd. v. Belvedere Fish Guano Co. (1921) 2 A.C., S. 465.
1259 Miles v. Forest Rock Granite Co. (1918) 34 T.L.R., S. 500.
1260 Smith v. Great Western Railway Co. and Anglo-American Oil Co. (1926) 135 L.T., S. 112.
1261 Wagner, in: Grundstrukturen des Europäischen Deliktsrechts, S. 189 (278); vgl. Buckley, in:
Clerk & Lindsell on Torts, Rn. 21-03; vgl. Shaw, Landesbericht England und Wales, in: Delikts-
recht in Europa, S. 43.
1262 Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, S. 673 f.
1263 (1994) 1 All E.R., S. 53; (1994) 2 A.C., S. 264.
1264 Zu Recht wird kritisiert, dass eine Haftungsregel, die davon abhängt, dass der Schädiger im
Zeitpunkt seiner Handlung den Schadenseintritt vorhersehen konnte, keine strikte Haftung
mehr ist, sondern unter die allgemeine negligence-Haftung fällt. Siehe Wagner, in: Grundstruktu-
ren des Europäischen Deliktsrechts, S. 189 (281) m.w.N.
1265 Smith v. Great Western Railway Co. and Anglo-American Oil Co. (1926) 135 L.T., S. 112.
1266 Auch Vogler ist der Ansicht, dass die Regel aus Rylands v. Fletcher bei der Haftung für Verkehrs-
mittel nicht anwendbar ist; Vogler in: Grundlagen und Grenzen der anglo-amerikanischen Ge-