Page 296 - Haftung für Gefahrguttransporte in Europa : zur außervertraglichen Haftung für Gefahrguttransporte zu Lande, zu Wasser und mit Luftfahrzeugen by
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272 4. Teil: Rechtsvereinheitlichung auf Gemeinschaftsebene
1370 1371 das
Union. 1 Während immerhin 24 von inzwischen 27 EU-Mitgliedstaaten 1
Ölhaftungs- und Fondsübereinkommen von 1992 ratifiziert haben, gilt das detail-
lierte Paris-Brüsseler Haftungssystem in der Fassung von 1982 entsprechend sei-
1372 . Zwar
ner ursprünglichen Zielsetzung nur für zwölf westeuropäische Staaten 1
1373 dem in seinen Grundsätzen ähnli-
gehören einige osteuropäische EU-Staaten 1
chen Wiener Übereinkommen an, jedoch kann man trotz des Gemeinsamen Pro-
tokolls nicht von einer Harmonisierung des Atomhaftungsrechts in Europa spre-
chen. Denn bei Anwendung des Gemeinsamen Protokolls, dem längst nicht alle
Vertragsstaaten des Paris-Brüsseler Haftungssystems und des Wiener Überein-
1374 , hängt die Höhe der zur Verfügung stehenden Haftungs-
kommens angehören 1
summe davon ab, in welchem Staat sich der Unfall ereignet hat.
Die in den jeweiligen Übereinkommen bestimmten Haftungssummen differie-
ren jedoch erheblich. Während das Wiener Übereinkommen von 1963 noch im-
mer die völlig unzureichende Mindesthaftungssumme in Höhe von 5 Millionen
US-Dollar vorsieht, wird nach dem Paris-Brüsseler Haftungssystem von 1982 eine
Haftungssumme von bis zu 300 Millionen SZR bereitgestellt. Der Blick auf die
drei ausgewählten Vertragsstaaten des Paris-Brüsseler Haftungssystems (Deutsch-
land, Frankreich, England) zeigt zudem, dass die beiden Übereinkommen ganz
unterschiedlich in nationales Recht umgesetzt wurden. Während das französische
und das deutsche Recht das Pariser Übereinkommen für unmittelbar anwendbar
erklären, es durch notwendige Vorschriften ergänzen und dadurch größtmögliche
Rechtseinheit herstellen, kann die englische Umsetzung nicht recht überzeugen,
lassen sich doch die ursprünglichen Regelungen im Nuclear Installations Act 1965
kaum wiedererkennen. Dass es sich um Vorschriften völkerrechtlichen Ursprungs
handelt, welche autonom ausgelegt werden müssen, ist zudem für den Rechtsan-
wender nicht sofort ersichtlich. Aber auch zwischen der deutschen und französi-
schen Umsetzung gibt es erhebliche Differenzen, haftet der Anlageninhaber nach
deutschem Recht doch völlig unbeschränkt, während nach französischem Recht
die Haftung auf ca. 23 Millionen Euro beschränkt ist.
Unterschiedliche Regelungen lassen sich allerdings bei völkerrechtlichen Ver-
trägen, in denen viele Detailregelungen dem nationalen Recht überlassen bleiben,
nie ganz vermeiden. Jedoch werden die geltenden Haftungssummen hinsichtlich
1375 Eine deutli-
potentieller nuklearer Unfälle als völlig unzureichend angesehen. 1
che Erhöhung der Haftungssummen sehen das „Wiener Übereinkommen zur
Bereitstellung zusätzlicher Entschädigungsmittel von 1997“ (300 Millionen SZR
1370 Siehe dazu die Nachweise im 2. Teil E und F.
1371 Nicht ratifiziert haben Österreich, die Slowakei und Tschechien.
1372 Belgien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Italien, die Niederlande, Norwegen,
Schweden, Slowenien, Spanien und das Vereinigte Königreich.
1373 Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Polen, Rumänien, Slowakei, Tschechien und Ungarn.
1374 Von den oben genannten Staaten gehören Belgien, Frankreich, Spanien und das Vereinigte
Königreich dem Gemeinsamen Protokoll nicht an.
1375 Siehe 2. Teil F I.