Page 300 - Haftung für Gefahrguttransporte in Europa : zur außervertraglichen Haftung für Gefahrguttransporte zu Lande, zu Wasser und mit Luftfahrzeugen by
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276 4. Teil: Rechtsvereinheitlichung auf Gemeinschaftsebene
nische Entwicklungen und Gefahren anwenden. Immerhin wird bei der Bestim-
mung der jeweils verantwortlichen Person (gardien) zwischen der Herrschaft über
die Handhabung der Sache (garde du comportement) und der Herrschaft über die
1383 Hinsichtlich der
Beschaffenheit der Sache (garde de la structure) differenziert. 1
Haftung für Gefahrguttransporte bleibt aber auch die Sachhalterhaftung hinter
den Möglichkeiten zurück, die für den Schutz und die Entschädigung unbeteiligter
Dritter der bei Gefahrguttransportunfällen erlittenen Schäden erforderlich und
möglich sind. Auch ist die Wiedereinführung der Verschuldenshaftung für durch
den Brand beweglicher Sachen entstandene Schäden nach Art. 1384 Abs. 2 C.c.
willkürlich und überzeugt nicht. Die schwierige und oftmals praktisch unmögliche
Abgrenzung zwischen Schäden, die durch den Brand in der Sache selbst entstan-
den oder nur Folge einer Explosion sind, führt nicht nur bei Gefahrguttranspor-
ten zu zufälligen und unberechenbaren Ergebnissen bzgl. der Haftung.
Hinsichtlich der Haftung des Geschäftsherrn für das Fehlverhalten seiner Ver-
richtungsgehilfen stimmen die tatbestandlichen Haftungsvoraussetzungen der drei
untersuchten Rechtsordnungen überein. Während aber der Geschäftsherr im
französischen und englischen Recht unabhängig von eigenem Verschulden haftet,
kann der Geschäftsherr nach deutschem Recht sein nur vermutetes eigenes Ver-
schulden durch Entlastungsbeweis widerlegen. Auch wenn an den Entlastungsbe-
weis hohe Anforderungen gestellt werden, die mit der Gefährlichkeit der Tätigkei-
ten steigen, ist durch Einführung des sog. dezentralisierten Entlastungsbeweises
die Möglichkeit, sich von der Haftung nach § 831 BGB zu befreien, insbesondere
für Großunternehmen wesentlich erleichtert worden.
Die Haftung für Gefahrguttransporte mit Binnen- oder Seeschiffen ist nach al-
len drei Rechtsordnungen unzureichend. Dabei ist der Anteil der beförderten
Gefahrgutmenge am jeweiligen Gesamttransport sowohl in der Seeschifffahrt als
auch in der Binnenschifffahrt im Vergleich zu den übrigen Verkehrsträgern be-
1384
sonders hoch. 1
Beim Transport mit Seeschiffen besteht nur für durch Tanker verursachte Öl-
verschmutzungsschäden Rechtseinheit. Der Transport anderer gefährlicher Güter
unterliegt dagegen noch immer den allgemeinen Haftungsvorschriften. Für Unfäl-
le in Frankreich bedeutet dies, dass aufgrund der umfassenden Sachhalterhaftung
immerhin ohne Verschulden gehaftet wird. Nach deutschem und englischem
Recht muss dagegen ein Verschulden nachgewiesen werden. Durch die adjektizi-
sche Haftung des Reeders nach § 485 S. 1 HGB hat der Geschädigte immerhin
neben dem schuldigen Besatzungsmitglied einen zusätzlichen, zahlungskräftigeren
Schuldner, der sich nicht durch einen Entlastungsbeweis von seiner Haftung be-
freien kann.
In allen drei Ländern gilt das Haftungsbeschränkungsübereinkommen von
1976 in der Fassung des Protokolls von 1996, nach dessen Summenhaftungssys-
1383 Siehe 3. Teil B I 2 c).
1384 5. Lagebild Gefahrgut, S. 6.