Page 303 - Haftung für Gefahrguttransporte in Europa : zur außervertraglichen Haftung für Gefahrguttransporte zu Lande, zu Wasser und mit Luftfahrzeugen by
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4.Teil: Rechtsvereinheitlichung auf Gemeinschaftsebene              279

                           Die Tatsache, dass sich Unfälle von Gefahrguttransporten zum Glück eher selten
                           ereignen, darf nicht zu der Beurteilung führen, dass die Opfer keine Garantien für
                           ihre finanzielle Sicherheit bräuchten. Zudem kommt durch die Seltenheit derarti-
                           ger Unfälle eine Fortbildung der allgemeinen Rechtsnormen durch die Rechtspre-
                           chung praktisch nicht in Betracht, so dass eine Klärung der Rechtslage nur durch
                                                       1388  Die Klärung der Rechtslage dient schließlich
                           den Gesetzgeber erfolgen kann. 1
                           auch den Interessen potentieller Schädiger (speziell  Gefahrguttransport-
                           Unternehmen), die sich über die Voraussetzungen und Grenzen ihrer Haftung
                           bewusst wären, folglich ihr Betriebsrisiko besser kalkulieren könnten und durch
                           eine entsprechende Pflichtversicherung  auch selbst vor den finanziellen Folgen
                           von Katastrophenschäden geschützt wären.
                              Das geltende Recht erfüllt all diese Anforderungen  nicht. Zwar ist das Be-
                           wusstsein hinsichtlich des besonderen Gefährdungs- und Schadenspotentials von
                           Gefahrguttransporten durchaus auch im nationalen Recht vorhanden (§ 12a StVG
                           und § 5h BinSchG), doch  fehlt es  an  einer  Gesamtlösung. Erforderlich ist eine
                           gesetzliche Regelung, die in ganz Europa gilt. Gerade die hoch entwickelten In-
                           dustrieländer und Transitländer wie beispielsweise auch Deutschland, die aufgrund
                           ihrer geographischen Lage durch Gefahrguttransporte besonders gefährdet sind,
                           haben ein besonderes Interesse an einer einheitlichen Regelung.
                              Es bietet sich somit eine Regelung auf Gemeinschaftsebene an, da auf diese
                           Weise die größtmögliche  Rechtsvereinheitlichung in  Europa hergestellt werden
                           kann. Da es für den sensiblen und risikoreichen Bereich der Haftung für Gefahr-
                           guttransporte so gut wie keine nationalen Regelungen gibt, wird auch kein mögli-
                           cherweise entgegenstehendes nationales  Recht verdrängt. Zudem  existieren auf
                           EG-Ebene wesentlich effizientere Durchsetzungsmechanismen als auf globaler
                           Ebene, denn die Europäische Kommission hat nach Art. 211 EG für die Anwen-
                           dung des Gemeinschaftsrechts Sorge zu tragen. Als „Hüterin des Gemeinschafts-
                           rechts“ ist sie zur Überwachung der Umsetzung und des Vollzugs primären und
                                                                             1389  So hat sie die Mög-
                           sekundären Gemeinschaftsrechts befugt und verpflichtet. 1
                           lichkeit, gegen säumige Mitgliedsstaaten die Vertragsverletzungsklage nach
                           Art. 226 EG  zu  erheben.  Gegen  Unternehmen und  sonstige Personen kann sie
                           aufgrund sekundären Gemeinschaftsrechts zu Maßnahmen (z.B. Bußgelder und
                                                                          1390
                           Verhängung von Zwangsmaßnahmen) ermächtigt sein. 1
                              Von einer gemeinschaftlichen Regelung profitieren schließlich die Geschädig-
                           ten ebenso wie die Schädiger. Harmonisierte Haftungsvorschriften würden dann
                           das Gegenstück zu den vielen  bereits  vereinheitlichten Sicherheitsvorschriften
                                 1391
                           bilden. 1


                           1388  Dies forderte Herber bereits 1983, in: TranspR 1983, 5 (7 f.).
                           1389  Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 211 EGV Rn. 2.
                           1390  Geiger, EUV/EGV, Art. 211 EGV Rn. 8.
                           1391  Dazu Jung, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 71 EGV Rn. 29 m.w.N.
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