Page 308 - Haftung für Gefahrguttransporte in Europa : zur außervertraglichen Haftung für Gefahrguttransporte zu Lande, zu Wasser und mit Luftfahrzeugen by
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284 4. Teil: Rechtsvereinheitlichung auf Gemeinschaftsebene
I. Definition „gefährlicher Güter“
Die erste grundlegende Frage bei der Erarbeitung von Haftungsbestimmungen für
die Beförderung gefährlicher Güter ist stets, welche Güter als „gefährlich“ einzu-
stufen sind und somit von den Bestimmungen erfasst werden sollen. Dabei ist zu
berücksichtigen, dass sich die Gefahr aus dem Gut selbst, aus dem Beförde-
1411
rungsmittel bzw. durch die Beförderung, aber auch von außen realisieren kann. 1
Zur Lösung der Definitionsfrage wurden immer wieder in verschiedenem Zu-
1412 Die Ausarbeitung einer
sammenhang insbesondere drei Ansätze diskutiert: 1
Generalklausel, der Verweis auf bereits bestehende Listen in anderen Überein-
kommen sowie die Ausarbeitung einer neuen speziellen Liste.
Eine Generalklausel, wie sie beispielsweise in § 2 Abs. 1 Gefahrgutbeförde-
1413 zu finden ist, birgt jedoch stets die Gefahr großer Rechtsunsi-
rungs-gesetz 1
cherheit. In Zweifelsfällen wird es immer zu kaum überwindbaren Problemen
kommen, sowohl hinsichtlich der Haftungsfrage nach eingetretenem Schadenser-
eignis als auch bereits bei der Frage der Versicherungspflicht und ihrer Überwa-
chung. Auch durch eine der Generalklausel im Anhang beigefügten, aber nicht
abschließenden Liste lassen sich diese Schwierigkeiten nicht vollständig lösen.
Der Verweis auf bereits bestehende Listen in anderen Übereinkommen
(z.B. ADR, RID, ADN, IMDG-Code) hat den Nachteil, dass diese Listen zum
Großteil unter völlig anderen Gesichtspunkten als Haftungsfragen entwickelt
wurden und auf die Änderung dieser Listen zur Anpassung an neue technische
Entwicklungen kein Einfluss genommen werden kann. Zudem ist der Verweis auf
die vielen verschiedenen Übereinkommen und Codes mit ihren Anhängen und
Anlagen für den Praktiker ebenso wie für den Rechtsanwender oft nur schwer
verständlich und daher für den schnellen Überblick untauglich.
Die Ausarbeitung einer neuen speziellen Liste für die Zwecke einer Regelung
auf Gemeinschaftsebene ist dagegen zwar mit Aufwand verbunden, verspricht
jedoch den größten Erfolg. Dabei sollte es sich um eine im Anhang aufgeführte
möglichst klar formulierte und leicht verständliche Enumerativliste handeln, wo-
bei man sich natürlich an den bereits existierenden Listen orientieren kann. Sinn-
voll wäre eine Einteilung der verschiedenen Güter und Stoffe in Gefahrenklassen
1414 , dem Vorbild des Europäischen
nach ihren jeweiligen Gefahreneigenschaften 1
Übereinkommens über die internationale Beförderung gefährlicher Güter auf der
1411 Trappe, TranspR 1988, 397 (398 ff.).
1412 Siehe zum HNS-Übereinkommen Ganten, TranspR 1997, 397 (402).
1413 § 2 Abs. 1 GGBefG lautet: „Gefährliche Güter im Sinne dieses Gesetzes sind Stoffe und
Gegenstände, von denen auf Grund ihrer Natur, ihrer Eigenschaften oder ihres Zustandes im
Zusammenhang mit der Beförderung Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung,
insbesondere für die Allgemeinheit, für wichtige Gemeingüter, für Leben und Gesundheit von
Menschen sowie für Tiere und Sachen ausgehen können“.
1414 Explosiv, entzündbar, brandfördernd, giftig, radioaktiv, ätzend und ansteckend.